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Das Embryo
 

Eines der fürchterlichsten Wort, das ich kenne, ist das Wort Embryo. Es tönt so, als hätte es mit dem, was Menschsein bedeutet - also mit uns - nichts zu tun. So brutal und achtlos, wie manchmal vom Embryo geredet wird als einem seltsamen Gewebehaufen noch ungeformter Materie, so redet man oft auch von den prähistorischen Menschen, den Höhlenbewohnern, Affenmenschen, Primitiven. Diese Brutalität ist keineswegs frei von Zuneigung, sie drückt sich aber oft in einem technischen Zugang aus, mit nichtmenschlichen Apparaten der Wahrnehmung und Abbildung: Kameras, Ultraschall, Funkhalsbändern, Diagrammen, technischen Werten. Je weiter wir zurückgehen in der Kette der Anthropogenese, desto distanzierter, ja respektloser verhält sich der Mensch gegenüber diesem Leben. Einzeller, Geisseltierchen, Plankton, Gliedertiere, Reptilien, Fische, Sägetiere, Affe, Mensch, bilden eine Reihe der Nähe zur Existenz des Menschen. Es scheint, als ob damit nahe und ferne Verwandtschaften einer Familie gemeint wären. Dies ist ein seltsamer Nebeneffekt der sogenannten Abstammungslehre von Darwin; der von Darwin sicher nicht beabsichtigte Effekt, dass die Qualität des Lebens aus seiner verwandtschaftlichen Nähe zum Menschen beurteilt wird. Wir  sehen solches in der modernen Forschung bei den Tierversuchen, in denen diese Abgrenzungen klar hervortreten. Niemand stört sich beispielsweise an einem Tierversuch mit 3 Milliarden Drosophila-Fruchtfliegen. Aber ein Versuch mit einem Schimpansen ist fast gleichbedeutend mit der Vivisektion eines Menschen. Ganz zu schweigen von den Haustieren, den Katzen und Hunden, die heute oft den verwandtschaftlichen Grad der Ehefrau oder der Kinder angenommen haben. Und schliesslich erkennen wir ein ähnliches Muster auch in der Bewegung des populären Vegetarismus. Je weiter vom Menschen entfernt ein Nahrungsmittel ist, desto unschuldiger empfindet sich der Mensch, es zu verzehren. Ich spreche hier ausdrücklich vom poplären Vegetarismus, der in materieller und kausaler Hinsicht begründet wird, aus mitmenschlichen Gefühlen zum Tier, um gesund zu bleiben oder um sich keine chemischen oder karmischen Schadstoffe aufzuladen.
In solch äusserlicher, abstammungsgeschichtlicher Wertung wird im Menschen selbst die Kette seiner Menschwerdung ausschliesslich materiell beurteilt. Dies erkennen wir an der Gesetzgebung über den Schutz menschlicher Föten und Embryos, Eizellen und Samenzellen, Genen und DNS-Bausteinen. Je "chemischer" und "molekularer" dem wissenschaftlichen Blick ein Gegenstand erscheint, desto unbekümmerter, freier, ja eigentlich willkürlicher scheint seine Haltung, in der er an diesen Gegenstand herantritt. Das menschliche Embryo ist genauso vollkommen Mensch, wie der Vater oder die Mutter. Die Umstände dieses menschlichen Lebens als Embryo sind aber noch sehr weit weg von dem Leben, das der geborene Mensch in Raum und Zeit als seine Existenz wahrnimmt. Immer, wenn vom Embryo die Rede ist, ist damit der materielle, kausale Blick gemeint auf den träumenden Menschen.

 
     

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