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Daniel Ambühl  Bildweg  >  Dokumente

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Erzählstruktur des Bildwegs  2/2
  Der Bildweg ist die Darstellung eines Kunstwerkes als Sammlung eines aktiven, geschichtlichen Vorgangs. Die Tiefe dieses Vorganges ist nicht einfachhin im fertigen Bild offenbar. Weil das Schlussbild des Bildwegs das Resultat eines geschichtlichen Vorgangs ist, sind in ihm die konkreten Erfahrungen der Gegenwärtigkeiten der Einzelstationen gleichsam verborgen. Diese Bilder und Erfahrungen sind aber zugleich auch anwesend: In der Erinnerung der Teilnehmer des Bildwegs.

Im Bildweg wird ein Anspruch der Kunst an den Menschen bebildert. Das Kunstwerk, das am Ende eines schöpferischen Prozesses als Substanz anwesend ist, kann vom Betrachter wiederum nur aufgrund eines schöpferischen Prozesses wahrgenommen werden.

 

Über die Rezeption von Kunst gibt es viele Auffassungen. Sehr verbreitet ist die Meinung, dass Kunst allein schon durch ihre Anwesenheit wirke, als Substanz. Anders gesagt, dass ein Buch allein schon in seiner materiellen Anwesenheit im Bücherregal, eine Wirkung habe, ohne dass es gelesen wird. Eine solche Wirkung ist unbestritten: Es ist die Wirkung der Möglichkeit es zu lesen.

Wird ein Kunstwerk wahrgenommen entwickelt es eine merkwürdige Stimmung. Auf der einen Seite drückt es aus, dass alles in ihm schon offenbar ist, andererseits fordert es auf zur Begegnung in einem aktiven, geschichtlichen Vorgang.

Die Art und Weise, wie im Kunstwerk alles schon anwesend ist, wird im Bildweg dargestellt indem von jedem Einzelbild Linien ins Schlussbild übernommen sind. Folgt der Aufforderung der Kunst ein Entscheid zur Begegnung, dann ist die blosse Möglichkeitsform in einem geschichtlichen Vorgang aufgehoben. Dieser Vorgang ist einzigartig und unwiederholbar. 

 
  Der Entscheid zur Begegnung mit der Kunst ist unausweichlich, er ist kein aktives Tun des Menschen. Weil wir in Zeit und Raum, also insgesamt in einem geschichtlichen Vorgang leben, ist dieser Entscheid immer schon vorweg gefallen.

Wir können die Erscheinungen dieser Welt nur lesen und erzählen. Es gibt keinen Besitz dieser Welt und ihrer Wahrheit als Substanz. Die Substanz ist als Hierarchie der Geborgenheit im geschichtlichen Vorgang aufgehoben. Und umgekehrt. Der geschichtliche Vorgang ist als Hierarchie der Verbergung in der Substanz aufgehoben.

Dies zeigt sich eindrücklich in der Sprache.

Das Lesen dieses Textes ist nicht möglich ohne Erinnerungsvermögen an bereits verflossenen Buchstaben, Worte, Sätze. Doch erinnert wird nicht in eine geschichtliche Ablage hinein, Erinnerung ist nicht Gedächtnis oder Speichermedium. Erinnerung ist die Sammlung geschichtlicher Ereignisse zur Substanz des Gegenwärtigen.
   

 

Der Kunstbegriff, der im Bildweg dargestellt wird ist der Begriff der Empfänglichkeit. Er steht in Beziehung zum Begriff der Hingabe. Hingabe steht ausserhalb des Willens. Es gibt keinen Willen zur Hingabe. Und auch keinen Willen zur Empfänglichkeit und auch keinen Willen zur Kunst. In der Hingabe, der Empfänglichkeit und der Kunst kommt der Begriff der Subjektivität erst recht zum Ausdruck: Als das Unterworfensein (Sub-jectus) gegenüber dem Objekt (ob-jectus), dem Entgegengeworfenen. Das, was wir heute als Subjektivität bezeichnen, meint in der Regel das genaue Gegenteil, nämlich die Weigerung zur Subjektivität, indem der einzelne meint, sich als Person durch eigene Willensleistung erfüllen und verwirklichen zu können und  zu müssen. Der Mensch empfindet sich in seiner  Welt dann als Objekt. Er ist damit verschlossen gegenüber der Welt.
Hier gilt aber die Umkehrung nicht: Die Welt ist nie verschlossen gegen den Menschen. Sie gehört zu ihm.

Ein Bild ist nie verschlossen gegenüber dem Menschen. Der Mensch aber kann sich dem Bild verschliessen.

 

 
  Kunst ist das Vermögen des Menschen empfänglich zu sein für seine Welt. Empfänglichkeit wird geschichtlich gelebt, und erweist sich als Substanz der Gegenwart.

Der Bildweg verdeutlicht diese beiden Aspekte, indem er sowohl Kunstwerk ist - als Anwesenheit von Substanz in der Gegenwart - aber unverbrüchlich damit auch ein geschichtlicher Vorgang verbunden ist.

Wenn wir einen Schritt weitergehen, dann liegt der Schluss nahe, dass der Reichtum des Bildwegs nicht allein im Herstellungsprozess liegt, nicht in seiner Benutzung zum Ziel eines Abdrucks, auch nicht allein als Objekt der Betrachtung, sondern darin, dass sich das eine mit dem anderen verbinden könnte. Geschichte und Gegenwart.

 

In der Gegenwart werden geschichtliche Vorgänge gesammelt. Der Ueberblick ueber geschichtliche Vorgänge hat ergibt sich aus der Fähigkeit, diese Geschichten in der Gegenwart einzusammeln. Der Bildweg ist Instrument zu einem Prozess der Vergegenwärtigung eines Bildes als Sammlung. Andererseits ist der Bildweg schon in seiner Substanz anwesend als dieses Bild.
Dasselbe gilt für das Wort. Es ist einerseits Instrument zur Vergegenwärtigung dessen, was es trägt und bedeutet. Die Bedeutung ist aber andererseits schon in ihrer Substanz anwesend als das Wort, welches sie bezeichnet.

Diese Prinzipien gelten nicht als Behauptung und Beweis des Absoluten. Jedes Kunstwerk ist Essay und steht deshalb explizit an der Prüfstelle der Wahrhaftigkeit zwischen Versuch und Versuchung.

Wir können Zeitloses nicht mit der Zeit messen. Das Zeitlose aber setzt das Mass für die Zeit. Wir messen die Zeit mit der Ewigkeit. Wir können die Gegenwart nicht mit ihrer Geschichte ermessen. Die Gegenwart setzt das Mass der Geschichte. 

 

 
  Geschichtliche Ereignisse sind wie riesige Buchstaben, die im schmalen Spalt der Gegenwart vorbeiziehen. Sie ziehen da ihre Linien und Bewegungen. Gewisse Buchstaben sind plötzlich wiederzuerkennen, weil sie früher schon vorkamen. Diese Wiederholung ist aber an sich noch keine Bedeutung. Gesammelt wird das Vorbeiziehende immer nur in die Gegenwart hinein, als ein Lesen der Buchstaben zu einem Wort, zu einem Satz. usw.
Je grösser die Schrift und je schmaler der Spalt, desto schwieriger ist es zu erkenen, was da vorbeizieht. Einen geschichtlichen Ueberblick gibt es nicht in der Form, dass uns Geschichte ausserhalb dieses Spaltes der Gegenwart erscheinen könnte.

Denn, sobald der Blick von der Gegenwart weg geht,  verpasst man die nächsten Buchstaben. Man findet dann den Einstieg nur sehr schwer, nur wenn man sich ganz an die Gegenwärtigkeit hält und konzentriert beobachtend in ihr steht.

Auch die blosse Registrierung dessen was vorbeizieht hilft nicht weiter. Es geht dann die Ueberraschung verloren, wie sich die Worte im Vorbeiziehen bilden.

 

 
  Versuchen Sie einmal, die Wortkreation, die an diesem Spalt der Gegenwart vorbeizieht zu Lesen. Beinaheiligelektrog Es ist ein neues Wort, das wir noch nicht kennen. Wir kennen Teile davon, Buchstaben, Silben und Wörter, die in ihm verwendet werden.

Was sollen wir damit anfangen?

Irgendwie kommt das Wort uns vertraut vor, weil es aus Buchstaben gemacht ist, die wir kennen, aber irgendwie befremdet es uns auch, weil wir diese Zusammensetzung der Buchstaben nicht kennen und auch die Bedeutung des Wortes nicht eindeutig kennen. Und wir wissen auch nicht, in welchem Zusammenhang es steht. Haben wir vielleicht etwas verpasst, was zuvor kam? Oder klärt es sich erst in Zukunft?

Wozu denn die Gegenwart? Als Rätsel, das uns quält?

 

 
 

So sieht die Gegenwart aus, wenn wir - wie durch unsere Sinne gegeben ist - auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig lesen.

Wir geben schnell auf, die einzelnen Schichten lesen zu wollen. Wir suchen nach einem Wort, das über alle Schichten hinaus lesbar ist. Und es scheint tatsächlich, dass solche Worte existieren. Wenn auch nur momenthaft und nur in Ansätzen. 

Dieses dynamische Bildgedicht von Daniel Ambühl trägt den Namen: " Landschaft ". Weitere Wortmobiles finden Sie in der Abteilung dynamische Lyrik.

 

Ende Haus Je grösser die Schrift und je schmaler der Spalt, desto schwieriger ist es zu erkenen, was da vorbeizieht. Jahre GeburtAlles  
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Versuchen wir, dasjenige, was wir nun anhand der Buchstaben und der Sprache erlebt haben, in einem Bild zu entdecken. Auch im Bild kommt alles Erscheinende im Moment der Betrachtung in einen geschichtlichen Vorgang. Das Bild hat eine Leserichtung. Das Bild wird gelesen. Dieser Vorgang ist unausweichlich. Das Bewusstsein kann sich mit einem Gegenstand nur in einer Abfolge, einer Hierarchie der Wahrnehmung in der Zeit, befassen und kann den Gegenstand nie als Gesamtheit begreifen. Das Denken ist ein Weg, der Schritt für Schritt nachzuvollziehen versucht, was intuitiv, aber unbewusst empfunden wird.
Leserichtung, Schrift, Vokabular und Grammatik der Sprache scheinen aber viel strenger verabredet als die Lesestruktur eines Bildes. Bildteile müssen in Sprache umgewandelt werden, um sie in einen Satz, ins Denken und in grammatikalisch strukturierte Zusammenhänge hinein zu bringen.
In unserem Beispiel des Schlussbildes des Bildwegs "Der Name Zürich" wird versucht, Elemente des Bildes in eine Abfolge und einen Deutungszusammenhang zu bringen.
 
  Was haben wir bis anhin gefunden? Das fertige Bild besteht aus einer Reihe von Orten , in denen sich Elemente der Einzelbilder verdichten. Die Einzelgeschichten ballen ihre Hauptelemente an bestimmten Orten auf dem Bildfeld zusammen. Diese Orte sind durch Spannungen und Beziehungen gekennzeichnet. In jeder Ebene, an jeder einzelnen Station sind die Spannungen wieder anders gesetzt. Mit der Erfahrung der vierten Station, als die Lokomotive herannahte und Frau und Kind und den Fischer zu überrollen drohte - mit dieser Erfahrung ist auch das Schlussbild durchsetzt. Aber wir ahnen auch noch den König, der mit seinen gefalteten Händen und seinem gebeugten Rücken, diese Drohung aufhebt, indem er die Lokomotive zu seiner Krone macht und alle Elemente, bis zur Aphrodite in sich verbindet.

Dasselbe könnten wir von der Sprache sagen, indem wir "Orte" durch "Worte" ersetzen. Der Ort ist im Bild, was das Wort in der Sprache: Ein unsichtbarer Kern, in den hinein sich das Geschehen verdichtet, und aus dem es sich aus wieder entfaltet.

Nun könnten wir unsere Expedition beenden und wieder den Geschichten zuhören. Doch vielleicht möchten wir noch mehr erfahren über die Struktur dieser Orte und Worte in Bild und Sprache.

Zur Grundstruktur des Bildweg-Bildes
Komposition des Bildwegs Greifswald

Daniel Ambühl beantwortet die wichtigsten Fragen zum Abschluss des Artwalks an der Expo.02  2002. Realplayer, 11 Minuten
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