Daniel Ambühl   Bildweg    Basel   Dokumente

 

Das Blechmonster
 

Version: 2. November 2002

  

1

 

Vor langer, langer Zeit, bevor es überhaupt Berge und Täler gab, und als der liebe Gott noch nicht einmal das Wetter erfunden hatte - als die Schweiz also noch flach war wie ein Bügelbrett in einem lauwarmen, leeren Wartsaal - da stand hier, wo wir jetzt stehen: ein Schulhaus - und darum herum eine Stadt; mit vielen Menschen; fast wie wir.
Das Schulhaus bestand aus zwei Zimmern, eins rechts und eins links; jedes mit einem eigenen Eingang. Über der Türe zum rechten Zimmer befand sich eine Tafel auf der stand „Schl“.  Und über der Türe zum linken Schulzimmer war auch eine Tafel. Auf der stand: „Ue“. Im Schulzimmer „Schl“ lernten die Schulkinder von morgens bis abends nur ein Fach, nämlich: Trommeln zu spielen. Und gleich nebenan, nur getrennt durch eine Wand, im Schulzimmer „Ue“, da übte eine Klasse von früh bis spät nur eins: Das Spielen der Flöte.
Das war eigentlich schon alles. Mehr konnte und musste man damals nicht lernen. Entweder man wurde in dieser  Stadt Flöter oder Trommler. 
Die Kinder, die in dieser Stadt lebten, mussten nicht einmal auswählen, ob sie flöten oder trommeln lernen wollten. Denn entweder waren ihre Eltern schon Trommler und dann gingen eben auch deren Kinder in die „Schl“ um zu trommeln. Oder die Eltern waren Flöter und dann gingen eben auch deren Kinder in die „Ue“, um Flöte zu spielen.
Man sah auch gleich, wer Flöter und wer Trommler war. Am Haarschnitt sah man das; an den Kleidern; vor allem aber an den Häusern. Die Trommler nämlich, die wohnten in Häusern, die nur aus Ecken, nur aus bolzengeraden Linien und topfebenen Flächen bestanden, also wie Würfel, oder Bauklötze ausschauten, und die auch nur mit exakten, geometrischen Mustern verziert waren und nur Schwarz auf Weiss.
Die Flöter aber, die wohnten in weichen, kugeligen Rundhäusern, ohne jede Ecke und Kante, nur aus geschwungenen Bögen und Wellen und mit bunten Farben in fliessenden Übergängen bemalt.
Auch wenn jemand sprach, wusste man gleich: Das ist ein Flöter, oder: das ist ein Trommler. Zwar besassen alle Leute in der Stadt dieselbe Sprache. Die Flöter aber schrieben und redeten von allen Worten nur die Flötenbuchstaben des Alphabetes, also  A E I O U Ä Ö und Ü
Und die Trommler die schrieben und sprachen von den Worten nur die Trommelbuchstaben des Alphabetes : B C D F G H K L M N P Q R S T V X  und Z.
Deshalb hiess bei den Trommlern Schule ja auch nur „Schl“. Und bei den Flötern hiess die Schule: „Ue“.
Bei den Trommlern tönte: „Ich lieb Dich“: „ Ch lb dch“ und bei den Flötern „i ie i“.  Und wenn man zum Beispiel auf flötisch fragte: „I ei u?“ , „Wie heisst Du? ,  dann tönte dasselbe „Wie heisst Du?“ auf trommlisch „W hsst d?“
Beim ersten Hinhören hätte man also meinen können, die Trommler und Flöter in der Stadt redeten völlig verschiedene Sprachen. Denn wenn das Flötenmädchen Oja, was Sonja heisst, auf dem Pausenplatz vor dem Schulhaus zu ihren Freundinnen auf flötisch fragte: „ I eä eu e ue a?“, „Wie gefällt Euch der Junge da?“ und dabei verstohlen auf den Trommlerjungen Krt zeigte, was soviel wie Kurt heisst, dann tönte das doch ganz anders als wenn dieser Kurt während er schüchtern zu Sonja herüberblickte,  zu seinen Freunden auf trommlisch flüsterte: „St s n hbsch“ : „Ist sie nicht hübsch?“
In beiden Schulstuben wurde nicht nur getrommelt und geflötet. Es wurden auch Lieder gesungen. Das Lieblingslied der Flöter hiess AEUIA. Und ging so:


AOUU EEII  A-A  EIA U OOO
OU A A E O I I AEIUUUJA

  Und das Lieblingslied der Trommler hiess   RRRTPT  und ging so.

 

B B RRR T SCHL MN BBDRPTT
WFFRTPXGGFDKLMRTP

  Das machte natürlich mächtig Spass so zu singen, und eigentlich waren alle Kinder in Tröten ganz glücklich. Ach ja, das hab ich vergessen: Tröten hiess diese Stadt, weil das zusammengesetzt ist aus Trommeln und Flöten.

 

 


2

 

Eines Tages geschah in Tröten etwas merkwürdiges. Von weitem hörte man ein Trommeln, das immer näher kam. Die Trommler freuten sich schon und die Flöter hielten sich die Ohren zu. Es kam ein Prinz angeritten auf seinem Pferd. Beide tropfnass und keuchend.
„Ihr müsst.....“ schnaufte der Prinz aufgeregt, „... Euch sofort zusammentun! Es ist ein grässliches Monster mit einem Heer von vierhändigen Stummen unterwegs zu Euch, um Eure Stadt zu erobern und zu vernichten!“
Aber die Leute in der Stadt - obwohl sie genau verstanden hatten, was der Prinz gesagt hatte - wurden ziemlich ärgerlich:
„W rd d dr?“ : „Wie redet denn der?“
„ e ee ja ei öie ueiae“ : „Der redet ja ein völliges Durcheinander!„
„Ueö!“ : „Unerhört!“
„ Z wm ghrst D?“, fragten die Trommler: Zu wem gehörst Du? Und die Flöter fragten auch: „U e eö u?“
Wenn er zu ihnen gehöre, befahlen die Trommler erzrürnt, solle er gefälligst trommlerisch reden. Oder flötisch, fügten die Flöter hinzu. Aber der Prinz sprach weder trommlerisch noch flötisch sondern - wie soll man sagen : beides zusammen - also:  so wie wir.
Genau das aber fanden Flöter wie Trommler eine grosse Frechheit, denn in der Stadt der Trommler und Flöter wollte man genau das nicht: Dass man alles durcheinander machte. Darin waren sich beide einig, Trommler wie Flöter.
„Ws hsst dn d Wr mssn ns zsmmn tn?“, Was heisst denn da. Wir müssen uns zusammentun,  rief der Obertrommler
„I i ja o uae!“,  stimmte der Oberflöter zu:
Wir sind ja schon zusammen!
„Ao!“ : Jawohl , „S st s“: So ist es, riefen Flöter und Trommler.
„E a i ee ae uae ae“ : Es kann nicht jeder alles zusammen haben.
„Fltsch nd trmmlrsch knn mn ncht glchztg sn!“: Flötisch und Trommlerisch kann man nicht gleichzeitig sein.
„Eee a i öe oe oe!“ :  Entweder man ist Flöter, oder Trommler!“
„Dr Fnfr nd ds Wggl:“ Der Fünfer und das Weggli: „Ds ght ncht!“: Das geht nicht.
„Ei!“ , „Nein. „Ntwdr - dr!“ : Entweder -Oder.
„I je i i ai a u eae!“: Bis jetzt sind wir doch damit ganz gut gefahren. „Oe?“ Oder?“
„whl!“ Jawohl
„Nd mt dsm Mnstr wrdn wr schn frtg!„Und mit diesem Monster werden wir schon fertig.“
„Jao!“ Jawohl!
Man packte also den Prinzen und warf ihn in den Kerker. Dort hätte er genügend Zeit sich zu überlegen und zu entscheiden, zu wem er gehöre. Erst dann könne man ihn wieder frei lassen.
Der Kerker befand sich genau da, wo die Wand war zwischen den Schulzimmern. Denn weil die Lehrer der Flöterklasse und der Trommlerklasse sich immer so aufgeregt hatten, wenn der Lärm der anderen Seite sie jeweils beim Musizieren störte, bauten sie zwischen die beiden Schulzimmer eine ganz ganz dicke Mauer. So dick, dass darin sogar noch ein richtiges Gefängnis Platz hatte. Und da hinein wurde nun der Prinz eingesperrt.
Dann kam, genau wie der Prinz gesagt hatte, das Monster: Aber wie sah es denn aus? Eigentlich überhaupt nicht grässlich. Nein! Es war ganz klein; mickrig sogar, nur etwa so gross wie ein Hündchen, aber aus Blech und auf Rädern und mit einem langen Rüssel. Also, jeder normale Mensch hätte gedacht, das sei ein Staubsauger. Und irgendwie war dieses Mönsterchen ja auch eine Art Staubsauger. Es saugte jedenfalls. Aber keinen Staub; sondern: Es frass Töne auf. Es saugte Lieder in sich hinein. Es verschlang Geräusche und verschluckte Gespräche.
Als der Turmwächter der Trommler das Heer der Stummen und voraus das Blechmönsterchen auf die Stadt zu kommen sah ,schrie er: „Lrrm! Lrrrrm! Lrrrrm!  und der Turmwächter der Flöter brüllte: „A- aaa!“  „A-aaaa!“, was - wie ihr ja sicher jetzt schon heraus gefunden habt  - „Alarm!“ heissen sollte. Aber da hatte das Monster ihr Geschrei schon abgesaugt, bevor es überhaupt jemand hören konnte. Nur das Lachen des Blechmönsterchens hörten alle ganz deutlich: „Ha! Ha Ha Ha!“ und so marschierte das Mönsterchen mit seinem Heer einfach unbehelligt in die Stadt hinein.


Als die Trommler und Flöter aus ihren Häuser heraus kamen und fragten „A i o?“ „Was ist los?“ oder: „Ws st ds?“ : „Was ist das?“, hatte das Blechmönsterchen auch diese Worte schon abgesogen, bevor es jemand hören konnte, und lachte nur noch lauter: „Ha, Ha, Ha!“
Und der Befehl des Obertrommlers „ Zm Ngrff!“ wurde ebenso verschluckt, wie das Gebrüll des Oberflöters „U A I!!“
Zum Angriff!
Die Flöter und Trommler waren also völlig sprachlos. Und sie dachten, weil ihre Obertrommler und Oberflöter nichts sagten, es sei wahrscheinlich alles in Ordnung.
So wurde die Stadt im Handstreich eingenommen, weil das Blechmönsterchen einfach alles Gerede absog und es deshalb ja auch in Tröten ganz ruhig war, und also niemand daran dachte, dass Krieg herrschen könnte, da doch der Krieg normalerweise bestialisch laut daherkommt, mit Geschrei und Gebrüll, Kanonendonner und Sirenengeheule.
Aber das war kein normaler Krieg. Nein, es war ja jetzt in der Stadt sogar noch viel ruhiger als vorher. Den meisten Trommlern und Flötern gefiel diese Ruhe sogar. Ja, denn man konnte sich ja Mühe geben wie man wollte, Getrommel und Geflöte schön sauber auseinanderzuhalten. Es blieb doch stets ein kleiner Rest eines Durcheinanders übrig, indem sich - weiss der Kuckuck woher - Getrommel und Geflöte doch vermischten. Man kann sich ja kaum vorstellen, wie sich die Leute in Tröten - und zwar Trommler und Flöter gleichermassen - wegen dieses kleinen Restes des Durcheinanders aufregten. Ja, vielleicht versteht man deshalb, warum sie den Prinzen in den Kerker warfen. Jedenfalls gaben sich Flöter wie Trommler nicht etwas gegenseitig die Schuld an dieser „Schweinerei“ des Durcheinanders, wie sie schimpften. Nein. im Gegenteil: Sie sagten: „Wir Tröter sind ein einig Volk von Trommlern und Flötern. Aber ein Durcheinander: Das wollen wir nicht. Nie mehr!“ 
Deshalb gefiel also den Leuten, dass es nun, als das Blechmonster alle Geräusche abgesogen hatte; dass es so himmlisch ruhig war in Tröten. Nur das Gelächter des Monsters war etwas unangenehm: „Ha!Ha!Ha!“
Und dann war ja noch dieses Heer der vierhändigen Stummen, das einfach tatenlos in Tröten umher lungerte. Denn sie hatten ihre vier Hände etwa nicht, um zu arbeiten, sondern nur, damit sie sich die beiden Ohren, die Augen und den Mund zuhalten konnten. Ja, und das Mönsterchen befahl sogar, man solle Esswaren herbeibringen für diese Stummen und Kleider, und jedem von ihnen ein schönes Haus bauen mit einem warmen Bett usw.
„Ich bin Euer Gott der Stille und der Ruhe!“ verkündete das Blechmönsterchen. „Wenn ihr macht, was ich euch befehle, dann herrscht in dieser Stadt Ruhe und Frieden und es bleibt alles so wie es ist. Und niemand braucht Angst zu haben!“
Die Trommler und Flöter taten wie befohlen, denn es war ihnen ganz angenehm, dass es so ruhig war in Tröten und dass es so friedlich schien.  Und arbeiten mussten sie ja sowieso. Für wen spielte keine Rolle.
Und als das Mönsterchen auch noch verlangte man solle alle Flöten und Trommeln einsammeln, und sie auf eine grossen Haufen legen, und dann anzünden, taten die Flöter und Trommler auch das. Denn sie glaubten dem Mönsterchen irgendwie, wenn es sagte: „Ihr braucht Eure Flöten und Trommeln nun nicht mehr. Ich bin ja jetzt da, Euer Gott der Ruhe und Stille, und ihr seid erlöst von Eurem ewigen Gezänke über das bisschen Durcheinander in Tröten. Denn ihr seid alle meine lieben Freunde, und ich werde dankbar sein und darauf achten, dass hier in Ewigkeit Ruhe und Frieden herrscht.“ Ja, das Mönsterchen konnte nicht nur alles in sich aufsaugen, sondern es auch widergeben und zwar so perfekt, dass viele meinten, es sei da ein Mensch drin. Aber es war nur ein Blechmönsterchen.

 


3


Was aber geschah mit den Kindern? Nun, sie gingen zwar weiter zur Schule, sassen aber nur stumm da und wussten, nicht, was sie hier eigentlich verloren hatten. Die Lehrer waren nämlich auch nicht mehr da. Es brauchte ja keine mehr, da der Gott der Stille und Ruhe in Tröten herrschte und der doch gesagt hatte, es sei alles gut, wie es ist, und niemand müsse mehr etwas lernen, was ja sowieso nur Lärm und Durcheinander verursache. Und wenn ein Kind dennoch etwas sagte, wurden die Worte ja sogleich vom Mönsterchen abgesogen, bevor jemand es hören konnte. Es war also völlig zwecklos, zu reden, wenn es sowieso niemand hören konnte. Kurz und schlecht: Es war in dieser Schule, in der man nichts mehr reden und lernen durfte, sehr sehr langweilig. Stinklangweilig. Aber jetzt, wo es plötzlich so völlig ruhig war, schien den Kindern, als hörten sie komische Geräusche. Oder war das mehr ein Zittern? Denn Geräusche gab es ja jetzt nicht mehr. Ja, der Boden zitterte! Und zwar in Abständen, wie wenn jemand von unten hämmern würde. Nein, nicht von unten kam dieses Zittern, sondern: Aus der Wand kam es! Aber, wer war denn da drin? Na klar: Der Prinz, in seinem Gefängnis! Der haute so fest von innen gegen die Wand, dass in den Schulzimmern der Putz abbröckelte. Und da sie ja sowieso nichts anderes zu tun hatten, begannen die Kinder nun ihrerseits an die Wand zu hauen, kratzten den Putz ab und versuchten, einen der grossen und schweren Mauersteine heraus zu nehmen, was ihnen dann auch nach einiger Mühe schliesslich gelang.
Durch das Loch schaute aus dem inneren der Wand der Prinz. Er hielt sich den Zeigefinger vor den Mund um zu bedeuten, man solle ganz ruhig sein, und gab den Kindern mit Zeichen zu verstehen, sie sollten durch die Öffnung zu ihm in das Mauerverliess hinein steigen. Und das taten sie auch. Aber als alle ins Verliess geschlüpft und die Öffnungen von innen wieder sorgfältig verschlossen waren, getraute sich keiner der Knirpse auch nur einen Pieps zu machen. Es war ja auch stockfinster und ziemlich unheimlich.
Der Prinz aber lachte fröhlich: „Ihr braucht keine Angst zu haben. Hier drinnen hört unsniemand. Schliesslich ist das ja eine schalldichte Wand, die man da gebaut hat. Und deshalb kann das Mönsterchen da draussen unsere Gespräche auch nicht hören und deshalb auch nicht absaugen. Also setzt Euch und hört mir gut zu!“
Aber da gab es natürlich zuerst ein grosses, erleichtertes Palaver und die Kinder mussten zuerst einmal alles ausplaudern, was ihnen seit der Ankunft des Blechmönsterchens auf dem Herzen lag, sie aber nicht sagen, respektive: niemand hören konnte .
„I i e ie a a ei-e-i o i“ Ich will jetzt wissen was da eigentlich los ist?“ verlangte ein Flötenjunge.
„Gn!“, „Genau!“ stimmte ihm ein Trommlermädchen zu: „Ws st dnn d gntlch ls“, „Was ist denn da eigentlich los?“
„JA, ie i eiei!“, Ja spinnen die eigentlich, „Oe a?“,  „Oder was?“
„Rrrrrh“  „Ruhe“, rief da ein anderer, „Rrrrh! „
„Uuue!“, „E i o ee“ „ Der Prinz soll reden!
„Also „ begann der Prinz „ Das Problem ist ..., Also Nein! Ein Problem ist das ja nicht ....  also : Es ist so : Ihr seid eben nicht nur Flöter oder Trommler. Ihr seid beides zusammen. Aber dass ihr das herausfindet, genau das will das Mönsterchen verhindern. Es will verhindern, dass ihr merkt, dass Ihr nicht bloss eine Hälfte seid, nämlich Flöter oder Trommler, sondern dass ihr eben beides seid. Habt ihr das verstanden:
„Ei - Ei “ schütteln die Flöter den Kopf. „Nn, Nn“ seufzten auch die Trommler.
„Also „ begann der Prinz von Neuem. „Mit den Flöten kann man auch trommeln und mit den Trommeln auch flöten.“
„I ie? „ Wie bitte ? wunderten sich die Flöter.
„ A a i öe au oe“:  Man kann mit Flöten auch trommeln?
„Ja, „ sagte der Prinz „ Was passiert denn zum Beispiel wenn ihr eine Flöte fallen lässt.
„I ä u oe“: „Sie fällt zu Boden.“
„Ja, schon„ machte der Prinz „.. aber wie tönt das, wenn sie zu Boden fällt“
Aber auf die Frage getraute sich niemand zu antworten.
„Es macht „Bumm“ oder?“ „ fuhr der Prinz fort, „genau so macht es „Bumm“ wie wenn einer auf die Trommel haut. Oder etwa nicht?
„Aaa!“, Aa!“  und „Gn!„ und „Rchtg!“, machten die Kinder.
„Nd d Trmmln?“ fragte ein Trommlerjunge.
„Da ist es genau umgekehrt „ sagte der Prinz, „ Man muss die Trommelklänge sozusagen hinauf fliegen lassen, damit sie wie eine Flöte tönen.“
Die Kinder schüttelten verständislos ihre Köpfe.
„Also“, begann der Prinz, „Nehmen wir zum Beispiel eine alte Türe mit einem ganz rostigen Scharnier. Wie knarrt die, wenn man sie am Anfang langsam aufmacht? „
„ P  K k k k ch chchRRrrrrrrrrr.... „ machte ein Trommlerjunge.
„ Ja und wenn man sie nun immer schneller und weiter aufmacht: Wie quietscht denn diese Türe zuletzt! „ ooouuuuuuuaaeeeiiiiiiii...“ machte ein Flötenmädchen.
„Na also, Und zusammen tönt das wie:“
Und alle Kinder machten zusammen:
„P K k kkkkchchrrrrooouuuuaaaeeeeiiiii...“
„Super. Und nun,“ sagte der Prinz „ machen wir diese Türe wieder zu:“
Und die Kinder machten: 
„ ..iieeeeaaauuuoooorrrrchchchk k k, P!„
„Na prima!„ klatschte der Prinz. „ Bravo! Habt ihr es gehört? Wenn die Trommellaute immer schneller nach oben gehen, entsteht aus dem Knarren des Trommeltons ein Flötenton, und umgekehrt auch. Die beiden gehören zusammen!!“

Aber da wurde es mucksmäuschenstill im Verliess. Einige Kinder begannen zu weinen und wollten nach hause gehen. Andere schauten ängstlich um sich.
„Was ist denn?“ fragte der Prinz erstaunt. „Hab ich euch erschreckt?“
Aber die Kinder getrauten sich nicht zu reden.
„So redet doch bitte?“ flehte der Prinz „Es tut mit leid, wenn ich Euch Angst gemacht habe. Aber sagt mir doch bitte, was in Euch gefahren ist? Bitte!“
Erst langsam kam heraus, dass die Kinder das furchtbar fanden, dass im Trommelton auch ein Flötenton sei und umgekehrt. Dann stimme das doch gar nicht, dass man die Trommeln und Flöten sauber trennen könne. Das Durcheinander sei ja schon in beiden drin. Das sei ja schrecklich! Dann gäbe es ja Trommeln und Flöten gar nicht, wenn sie doch zusammen gehörten. Dann seien die Trommeln ja auch Flöten und die Flöten auch Trommeln und die ganze Welt ein einziges Durcheinander!“ Und wieder begannen viele Kinder zu weinen.
„Halt! halt!“ rief da der Prinz.„Jetzt hört mir bitte mal zu!“
„Wer von euch spielt Trommel? 
„Wr!¨“
„Und wer spielt Flöte?“
„I!“
„Also dann wisst ihr was eine Flöte ist und was eine Trommel?
„Ja!“ „-“
„Aber habt ihr auch schon daran gedacht, dass es zwischen den Flöten und Trommeln noch viele, viele andere Instrumente geben könnte, mit vielen anderen Klängen und Tönen, die wir noch gar nicht kennen?“
„U a i a ü iuee?“, Und was sind das für Instrumente?, fragten die Kinder: „Nd w tnn d?“, Und wie tönen die?“
Da wurde der Prinz nun auch nachdenklich. „Also ehrlich gesagt. ich weiss es auch nicht, was das für Instrumente sind. Aber ich bin überzeugt, wir werden das herausfinden. „
„U ie?“ Und wie?, riefen die Kinder.
Aber da fiel dem Prinzen auch nicht gerade eine Antwort ein.
Und während er nachdachte, wurden die Kinder wieder unruhig, und einige begannen zu zittern und zu weinen.
Schliesslich sagte der Prinz: „ Ich glaube ich habe eine Idee!“
"spielt doch mal Eure Lieblingslieder. Und das taten dann zuerst die Flöter, und dann die Trommler.
„U je“, „nd zt“, fragten alle.
„Und jetzt spielen wir Eure Lieblingslieder zusammen und gleichzeitig!“
Uae!„Zusammen!“ Glchztg, „Gleichzeitig!“, schrien die Kinder entsetzt:„Ds st vrbtn!“
„Weshalb sollte das verboten sein?“ fragte der Prinz, „Es sind doch Eure Lieblingslieder und in Eurer Stadt Tröten sind doch die Flöter und Trommler zusammen. Oder etwa nicht! Ihr gehört ja auch zusammen.„ Aber die Kinder hatten immer noch Angst. E i a a-e i e ei ueae, „Wenn wir das machen gibt es ein Durcheinander. U e i ie ueiae ahöö, aa....“ Und wenn wir dieses Durcheinander anhören, dann ...“
„Dann was ... „a ...“  Na Was? ... „ ... dnn xpldrn wr!“
„Explodieren?“ lachte der Prinz, und auch einige Kinder kicherten. „Ja aber ich rede schon die ganze Zeit Flöten- und Trommelbuchstaben zusammen zu Euch. Ihr versteht mich und hört mir zu. Und seid ihr schon xpldrt?“
Schliesslich kam man soweit, dass Flöter und Trommler sich die Ohren zuhalten sollten, während sie ihre Lieblingslieder gleichzeitig singen. Der Prinz erklärte sich bereit, das Durcheinander anzuhören. Er hätte keine Angst zu xpldrn.
Und genau so taten sie es dann auch: Und als die Flöter und Trommlerkinder sich wieder die Hände von den Ohren genommen hatten und sahen dass der Prinz noch immer da stand, und lachte. „ fragten alle U?, „Und? „W wrs?“, wie war’s“
„Es war...“ lachte der Prinz „ Es war unbeschreiblich schön!“
Nun wollten die Kinder das aber selber hören und so sangen sie ihre Lieblingslieder nochmals, zusammen und gleichzeitig. Und danach wollten sie überhaupt nicht mehr aufhören zu spielen und zu lernen und zu singen. Sie wollte noch bleiben. Der Prinz musste ihnen zuerst noch beibringen, wie man beim Reden die Trommellaute und die Flötentlaute zusammen spricht, so wie wir sprechen. Und auch , dass ein Bild und ein Haus viel besser aussehen, wenn Farben und Formen zusammen sind. Ihr werdet es nicht glauben, aber die Kinder blieben ganze drei Tage ohne zu essen und zu trinken in diesem Gefängnis und sie wären noch viel länger da geblieben, hätte nicht der Prinz, der schon hungrig und müde war,  gesagt: „Bitte. Bitte! Nun ist genug! Jetzt gehen wir raus aus unserem Wandgefängnis, und ihr werdet sehen, dass wir damit das Blechmönsterchen, das die Töne absaugt, vertreiben  und sich eure Eltern, die Flöter und Trommler in der Stadt, sehr freuen werden, Euer Konzert, das wir ihnen zusammen vorführen werden, anzuhören.“
Also gut sagten die Kinder wir wollen aber noch einmal üben, nur noch einmal, Bitte, und dann gehen wir raus!
Also gut, willigte der Prinz ein.

 


4.


Als die Kinder aus dem Wandverliess heraus kamen, sahen sie die Bescherung: In der Zwischenzeit war das Schulhaus niedergebrannt und das einzige was von ihm stehen geblieben war, war die Mauer. Und die Kinder hatten von all dem, was draussen geschah, drinnen überhaupt nichts  gehört. Die Stadt war vollkommen leer; kein Mensch zu sehen. Die Häuser verlassen, unordentlich, verwüstet. Auf dem Marktplatz qualmte noch das Häufchen Asche von den verbrannten Trommeln und Flöten. Auch das schallschluckende Staubsaugermönsterchen war weg. Wo war das verdammte Ding bloss hingegangen?
So hatten die Kinder also für ihr Konzert, das sie ihren Eltern geben wollten, überhaupt kein Publikum. Und sie hatten auch keine Lust, es für sich alleine zu spielen. Einige flüsterten gar verschämt, dass vielleicht doch etwas explodiert sei. Aber sie getrauten sich nicht, das laut zu sagen. Es war deprimierend.
„Was machen wir jetzt?“ fragten sich alle gegensitig. Aber niemand wusste etwas. Die Kinder wussten eigentlich nur, was sie nicht wollten. In den Häusern wollten sie zum Beispiel nicht mehr leben. Weder in den eckigen noch in den runden. Aber vor allem wollten sie nicht allein in Tröten leben, sie wollten ihre Eltern wieder haben. Aber wo waren die?
Bestimmt hatte man ihre Eltern weg geführt, wenn sie überhaupt noch lebten. Auf jeden Fall musste man sie finden und befreien, damit sie wieder  zurückkehren konnten in ihre Stadt, die früher einmal ganz schön aussah, als darin noch Menschen lebten. Aber jetzt war Tröten eine Geisterstadt. Richtig unheimlich.
Wo immer die Kinder ihre Eltern auch suchten, sie fanden nichts. Keine Spur. Draussen war die Welt ja auch ganz flach, wie ein Bügelbrett und man konnte schauen, wohin man wollte, es blieb rundherum flach und es war nichts zu sehen. Auch war es da gefährlich wie in der Wüste, denn wenn es überall flach ist, kann man sich schnell verirren und im Kreise gehen bis man verdurstet. Also gingen alle mit hängenden Köpfen wieder in das kaputte Städtchen Tröten zurück.
Und da begannen sich nun die Kinder selber Vorwürfe zu machen. „Wir sind selber Schuld“ schluchzten einige.  „Wären wir nicht in die Mauer gegangen und hätten da nicht ein Durcheinander gemacht, wäre vielleicht alles noch so wie vorher!“ „Haben nicht unsere Eltern immer gesagt, wir sollten kein Durcheinander machen, weil sonst alles explodiert?“
Hätten wir doch auf sie gehört!“
„Nein, Nein,“ hielt der Prinz dagegen: „Das ist nicht wahr! So dürft ihr das nicht sehen!“ Aber auch er war ganz niedergeschlagen und es fiel ihm auch nichts ein.
Er marschierte unruhig die Stadt auf und ab, auf und ab, auf und ab, auf und ab, - und als er wieder einmal beim Aschenhaufen vorbei kam, hatte er eine Idee.
„Ich glaube,“ sagte er zu den Kindern, „Ich weiss jetzt, wie wir das Mönsterchen finden und Eure Eltern auch.“
„Und wie!“ heulten die Kinder.
„Wir bauen uns neue Trommeln und Flöten, genau so wie die, die das Mönsterchen verbrennen liess. Und dann spielen wir, als seien wir noch Flöter oder Trommler wie zuvor, als wäre nichts geschehen.“
„Und dann?“
„ Dann warten wir, ob das Mönsterchen wieder kommt!“
„Und dann!“
„Dann hauen wir es kaputt!“ schluchzte ein Mädchen.
„Ja, wir hauen es kaputt!“ riefen die Kinder.
„Genau so machen wir es!“

  In Windeseile wurden neue Trommeln gebaut. Und kaum hatte jedes Kind seine Rolle als Flöter oder Trommler eingenommen, da rief auch schon das Kind vom Trommlerturm: „Lllrrrrrmm!“ Und das Kind vom Flöterturm rief - wie sie abgemacht hatten : „Aaaa!“
Und tatsächlich. Aus der unendlichen Weite der Bügelbrettwelt kam ein langer Zug von Menschen daher. Und zuvorderst das kleine Blechmönsterchen, welches ganz vergnüngt ein Liedchen sang:

 

Ich hab die Halben gern.
Zum fressen hab ich sie gern
Ich nehm ihr Halbes auf
Und mach was Ganzes draus.

 

Ich bin der Apparat.
Ich nehme alles auf
Und spiele alles ab.
Ich mache was ich will
und mach als Heldentat
die halben Menschen still.

 

Ha Ha Ha.

 

Hinter  dem Blechmönsterchen trottete ein riesiges Heer von vierhändigen Stummen. Und die Kinder sahen, dass auch ihre Eltern darunter waren. Es war schrecklich. Aber nun waren die Kinder auch richtig wütend geworden und wollten gleich los stürmen. Aber der Prinz hielt sie zurück und sagte : „Nein, Wartet, bis sie in der Stadt sind!

 


5. 

 

Das Blechmönsterchen fuhr also wieder in die Stadt, rief wieder: „Ich bin Euer Gott der Stillle!“ und „Bringt alle Trommeln und Flöten und her! „ Als es aber bemerkte, dass von über all her Kinder auf es zukamen und es sah, wie die Kinder wütend ausschauten, sagte es: „Wo sind Eure Flöten und Trommeln Kinderchen! Kommt bringt sie her. „
„Halt deine Klappe! Mönsterchen“ rief da eines der Kinder.
Und als das Mönsterchen merkte, dass es diese Worte nicht absaugen konnte, drehte es sich um und sagte es kleinlaut:
“Hoppla, Entschuldigt mich bitte. Ich hab mich in der Stadt geirrt. Ich geh gleich weiter, macht bitte Platz. Auf Wiedersehen!“ und wollte davon rollen;  konnte aber nicht, da es ganz von Kindern umstellt war.
„Was machen wir jetzt mit ihm?“ fragten die Kinder.
„Am besten wir hauen das blöde Ding kurz und klein!“
„Ja,genau!“
„Also holt mal einen grossen Hammer.“
„Nein, bitte nicht schlagen!“ wimmerte da das Blechmönsterchen: „Also. hört mal! Ihr könnte also von mir haben was ihr wollt. Ich meine ich bin wirklich ein ganz mächtiger Apparat. Ich kann alles, was ich je gehört habe genau so wiedergeben, und auch verschiedene halbe Dinge zu etwas Ganzen zusammenmischen, und vergesse es nie. Das ist doch was oder. Hmm, Khm .“ Hüstelte es: „Also im Ernst. Hört mal. Lasst mich bitte in Ruhe , Ja? Ich geh woanders hin und wir vergessen uns. Okay?“ Und wieder drehte es sich und wollte davonrollen.  Aber da stand ihm ein Junge im Weg und trat gegen seinen Blechbauch. „Nein Du bleibst hier du verdammtes Blechmönsterchen.“
„Aua! Du hast mich in die Batterie geschlagen!“
„Du bleibst hier! Verstanden. Und zuerst weckst Du alle unsere Leute aus der Stadt wieder auf.“
„Welche Leute?“
„Na, die, die jetzt mit ihren vier Händen dastehen, und sich die Ohren , die Augen und den Mund zuhalten.“
„Ach die?!“
„Ja die! Das sind unsere Eltern! Und bevor die nicht wieder ganz normal sind wie vorher, lassen wir dich nicht gehen.“
„Ich kann die nicht aufwecken! Ich kann ja nichts dafür, die halten sich ja die Ohren, Augen und den Mund selber zu. Die müssen sich schon selber aufwecken.“
„Nein. Du hast doch denen eingeschwatzt, Du seist der Gott der Stille und Ruhe undsoweiter, nur damit Du Deinen Quatsch verbreiten kannst und nur weil Du der einzige sein willst, der etwas zu sagen hat.  Stimmts?“
„Ja, jaa, aber das war doch nur ein Spiel. Ist ja gar nicht ernst gemeint gewesen. Was kann ich denn dafür, wenn alle mir gehorchen.“
„Du hast doch den Leuten ihre Töne und ihre Sprache weggesaugt. Stimmts?“
„Ja, ja, aber nur denen, die sowieso nichts rechtes zu reden hatten. Nur diesen halben Menschen, die nur halbe Sachen reden, und nur halbe Sachen tun, und von allem nur die Hälfte verstehen. Von den Dummköpfen eben und von denen die nichts richtig können. Ich helfe ihnen etwas Ganzes zu machen, etwas Richtiges, Schönes. Ja, ..  Ich mein; bei Euch geht das ja jetzt nicht mehr . Schade zwar . Aber ...“
„Halt jetzt Deine Schnauze, sonst kratz ich Dir die Batterie aus deinem Blechbauch.“
„Bitte nicht! Meine Batterien sind sehr empfindlich. Die erkälten sich schnell!“
„Du gehst jetzt zu diesen Leuten, die Du zu vierhändigen Stummen gemacht hast, und gibst denen ihre Töne wieder und ihre Gespüräche, die du ihnen abgesaugt hast.
Verstanden!“
„Das geht leider nicht! Die hab ich leider längst verloren.“
„Was verloren? Du hast Doch eben vorher gesagt, dass Du alles aufzeichnst und archivierst und alles , was Du hörst immer und jederzeit wiedergeben kannst...“
„Ja , ja, aber das war nur ein Scherz, das geht nicht.“
„Entweder du spukst das wieder raus, was Du den Leuten weggenommen hast, oder wir machen aus Dir eine kleinen Schrotthaufen.“
„Nein, bitte nicht schlagen, Meine Elektronik ist wirklich sehr empfindlich. Ich krieg so schnell Durchfall und Husten und ich bin doch ein Meisterwerk der Technik. Ihr könnt doch nicht mich, die Krönung der Technik einfach kaputtschlagen.“
„Doch. Wenn es sein muss.“
„Bitte nicht!“
Schliesslich willigte das Blechmönsterchen ein. Und es gab allen vierhändigen Stummen, die noch immer sinnlos in der Stadt lungerten, all ihre halben Gedanken und halben Gespräche wieder zurück. Und tatsächlich wachten diese dabei gleich auf. Und das Blechmönsterchen entschuldigte sich auch, wie man es von ihm verlangt hatte, allerdings nur halbherzig.
„Na, ja,“ sagte es herablassend, „Ich kann’s ja auch nicht besser. Nichts für ungut.“
Der hämische Unterton war jedenfalls nicht zu überhören. Und irgendwie merkte man dem Blechmönsterchen an, dass es noch immer meinte, es könne alles besser als alle anderen. Und man konnte fast sicher sein, dass es bei der nächstbesten Gelegenheit noch ganz andere Boshaftigkeiten verüben würde. Deshalb sperrten die Kinder das Blechmönsterchen in das Verliess, in der Mauer, die früher zwischen den Schulzimmern stand.

 


6. 

 

Nun standen also die Flöter und die Trommler mit ihren Kindern in ihrem kaputten Städtchen Tröten. Und während die einen sogleich wortlos damit begannen, die Häuser und auch die zwei Schulzimmer wieder aufzubauen, berichteten die anderen, was eigentlich geschehen war.
Die Erwachsenen erzählten, dass sie schon bald bemerkt hätten, dass ihre Kinder verschwunden waren. Sie hätten auch überall gesucht, aber nichts gefunden. Und einige hätten dann sogar gesagt oder gedacht: Geschieht den Kindern ganz recht. Sie können eben nicht auf der Schnauze sitzen. Besser aber, es ist völlig ruhig, als dass weiter dieses Geschnatter in der Stadt ist. Und am zweiten Tag seien ihnen plötzlich aus den Ellbogen heraus zwei weitere Hände gewachsen. Zuerst hätten sie sich darüber gefreut, denn sie hätten gedacht, dass sie damit noch viel mehr arbeiten könnten als je zuvor. Schliesslich hätten sie ja auch alle Stummen verpflegen und unterbringen müssen. Kaum seien aber die zwei zusätzlichen Hände fertig gewesen, sei es ihnen genau so ergangen wie den Stummen. Die Hände hätten sich nämlich von selber auf ihre Ohren gelegt, auf Augen und Mund und von da an wüssten sie nichts mehr.
Auch die Kinder berichteten von ihrem Aufenthalt in der Mauer und davon, was sie dort erlebt und gelernt hatten. Wie sie überall nach ihren Eltern gesucht hätten. Und wie sie schliesslich das Mönsterchen wieder in die Stadt gelockt, und die Stummen befreit hätten. Und dass sie morgen früh ein Konzert geben wollten, zu welchem sie alle herzlich einladen, um zu feiern, dass man wieder glücklich zusammen sei in Tröten.

 

Am nächsten Morgen versammelten sich alle Tröter auf dem Marktplatz, die Kinder hatten sich im Halbkreis aufgestellt und das Konzert begann. Zuerst mit einem Trommelwirbel. Dabei riefen die Trommler „RRvvv!, dann mit einer Flötentriole, welche ebenso feurig von den Flötern bejubelt wurde, doch dann wurde es still im Parkett, denn plötzlich begannen sich Trommeln und Flöten zu mischen, ja sie sprachen miteinander. Aber hört selbst.

Als das Stück zu Ende war, war im Saal ganz lange Ruhe. Es war eine unruhige Ruhe, eine nervöse, knisternde. Die Kinder, die gespielt hatten schauten verwundert in die Runde, und auch alle Leute, Trommler und Flöter schauten um sich und die Frage war in ihren Augen zu lesen: „Was soll man dazu sagen?“. Doch dann brach es auf einmal los: Und zwar wild durcheinander ein Bravo und Buuh rufen. Und wärend die einen Leute sich erhoben und immer lauter riefen: „Bravo!“ „Jaa, endlich!“ „Bravo!“, brüllten die anderen, „UUu“, „Vrrt“ „Frchht!“  Und der Tumult wogte hin und her und niemand gewann die Oberhand.  Und während die einen Flöter und Trommler begeistert die Bühne stürmten und die Kinder auf ihren Schultern wie Helden durch die Stadt trugen, stürmten die anderen Trommler und Flöter zum Wandverliess, befreiten das Blechmönsterchen und trugen es auf einer Sänfte, wie eine heilige Reliquie durch die Strassen. Und als sich die beiden Gruppen wieder auf dem Marktplatz begegneten und gegenüber standen, und eine Sekunde, bevor eine Schlägerei ausgebrochen wäre, trat der Prinz dazwischen und rief:„Halt , halt, Wartet! Beruhigt Euch!  Bevor ihr Euch jetzt gegenseitig niedermacht und alles zerstört, was uns lieb ist, bitte lasst uns gemeinsam  nachdenken. Vielleicht gibt es eine Lösung, die uns allen erträglich ist.“
„Ach ja?“ giftelte das Blechmönsterchen von seiner Sänfte herunter: „Du hast wohl Angst um deine missratenen Kinderchen, die alles Durcheinanderbringen. Ergebt Euch und es wird Euch verziehen werden. Ihr seht doch, dass der Oberflöter und Obertrommler auf unserer Seite sind. „
„Ja ja!“, erwiederte ihm da einer von der gegenseite: „ Aber das sind nicht mehr unsere Oberflöter und Obertrommler. Ich zum Beispiel bin auch ein Flöter,“ „Und ich ein Trommler.“ rief ein anderer dazwischen, und ein Dritter fügte keck hinzu: „Und ich sage Dir. Wir brauchen keine solchen Obertrottel mehr. Und falls ihr es noch nicht gemerkt habt: Eure Kinder sind alle auf unserer Seite!„ Und es hätte nur noch ein Haar zu Boden fallen müssen und eine böse Keilerei wäre losgegangen.“Halt. Halt“ rief da nochmals der Prinz. „Lasst uns einen Wettkampf machen. Einer von Eurer Seite gegen einen von unserer Seite, anstatt dass wir uns alle gegenseitig niedermachen.“ Damit waren alle einverstanden. Es wurde vereinbart, dass man am nächsten Tag als Schiedsrichter ein Neugeborenes hinbringen werde, welches man in der Mitte in sein Kripplein lege. Und derjenige der beiden Wettstreiter, der es zum Lachen bringe allein mit seiner Musik, der habe gewonnen.

  Es war ja klar, dass auf der einen Seite das Blechmönsterchen zum Wettkampf antreten wollte. Und die Kinder auf der anderen Seite flehten den Prinz an: „Geh Du für uns!“ „Weshalb ich?“ antwortete aber der Prinz: „ Das könnt ihr auch! Jeder von Euch ist besser als dieses Blechmönsterchen!“ Und obwohl man den Prinzen bedrängte, doch bitte selber zu gehen, blieb er standhaft und sagte : „Wenn nicht jeder einzelne von uns das besser kann, wie ich meine, dann hat auch alles, was ich Euch beigebracht habe, nichts genützt!
Und dann bleiben wir eben weiterhin Flöter oder Trommler.“
Das wollte nun aber auch niemand, und so entschied man, weil sich keiner freiwillig meldete, um gegen das Blechmönsterchen anzutreten, das Los zu ziehen. Und die Wahl fiel ausgerechnet auf ein kleines Mädchen, das gerade erst acht Jahre alt geworden war und Sonja hiess. Da erschracken alle über ihren eigenen Mut. Und in schlimmer Vorahnung sahen sie, wie das Blechmönsterchen nun bereits fröhlich an der Arbeit war, einen komplizierten Apparat aufzubauen, es aus irgendwelchen Schubladen in seinem Innern, Dinge heraus klaubte und zusammen schraubte und sie zu einer riesigen Anlage hinstellte. Im Nun war aus dem Mönsterchen ein richtiges Monster geworden, gross wie ein Haus mit vielen Etagen, Schaltern und blinkenden, roten Augen und einem Riesenrüssel, der nun aussah wie grosser Trichter.
„Was soll ich denn jetzt machen?“ fragte Sonja den Prinzen, während die anderen Kinder und ihre Eltern schon nach hause gingen, und denn Wettstreit eigentlich schon verloren gegeben hatten. „Mach einen Spaziergang in der Stadt.“ sagte der Prinz, „Leg Dich dann hin zum Schlafen. Morgen hast Du dann vielleicht eine Idee, was Du dem Kindlein vorspielen oder vorsingen könntest, um es zum Lachen zu bringen.“

 

 

 7.  

 

Zur  vereinbarten Zeit, erschien zuerst auf dem Marktplatz, wo der Wettkampf stattfinden sollte,  das Blechmönsterchen. Es war zu einem riesigen Apparat aufgeblähte und von seinen vielen tausend Anhängern fehlte kein Einziger. Wenig später erschien auf der anderen Seite das Mädchen Sonja, begleitet vom Prinzen und hinter ihnen eine schüchterne, dünne Schar ihrer kleinen Anhänger; vielleicht fünf oder sechs. Die Mehrzahl der Kinder und Eltern waren zu hause geblieben, weil sie von ihrer Niederlage schon überzeugt waren, und das niederschmetternde Drama ihres Unterganges nicht auch noch mit eigenen Augen und Ohren miterleben wollten.
Dann wurde das neugeborene Kind in seiner Krippe herbeigebracht und in die Mitte gestellt. „Können wir anfangen!“ spöttelte das Blechmonster zum Mädchen Sonja, dem Prinzen und der handvoll Kinder: „oder erwartet ihr noch jemanden? Ha, ha , ha!“ Und seine Fans gröhlten laut und donnernd mit.
Das Los, wer beginnen sollte, fiel dem Monster zu.
Nach einer Kunstpause begann es sein Spiel.
Das Monster spielte wirklich sensationell. Es hatte alles, was man auf Trommeln und Flöten lernen konnte, so geschickt aufgenommen und so perfekt zusammengemischt, und spielte in hundert Stimmen ein wunderbar süsses Liedchen, dass das Kindchen in der Krippe schon bald ganz leicht zu schmunzeln begann, es rosig und wohlig anzusehen war, mit dem lieblichen Hauch eines Lächelns auf den Wangen, als ob das Monster ihm mit seiner Melodie und den hüpfenden Trommelrhythmen zärtlich über die Haare streicheln würde. Und jetzt kam das Monster erst richtig in Fahrt. Aus allen Lautsprechern erklangen neue Flötentöne und weitere Trommelwirbel, und als das Kindchen eben tief zufrieden einatmete, den Mund zu einem breiten Lachen öffnete, aber noch kein Ton rauskam, da begannen alle Fans des Blechmonsters, siegessicher, wie sie waren, das Kindchen anzufeuern: „Lachen! Lachen! Lachen!“ und da begann das Kindchen laut und hemmungslos zu weinen und obwohl das Blechmonster es mit seinem Gesäusel wieder zu beruhigen suchte, weinte das Kindchen immer weiter und hörte nicht mehr auf, bis das Blechmonster sein Konzert abbrach und zu seinen Anhängern rief: „Hätte ihr Halbschuhe doch Eure Klappe gehalten!“
Zu Sonja und ihrer Schar rief das Blechmonster aber: „Habt Ihr gesehen, wie es am Anfang geschmunzelt hat und wie es lächelte und es auch seinen Mund schon geöffnet hatte, um richtig zu lachen. Jetzt wollen wir mal sehen, ob Du das auch schaffst!“
Nun also trat das Mädchen Sonja zur Krippe mit dem Kindchen. Was aber konnte Sonja schon bieten im Vergleich mit dem Blechmönsterchen. Es konnte ja nicht gleichzeitig Trommeln und Flöten spielen und schon gar nicht alleine mehrstimmig singen, wie das Mönsterchen. Aber Sonja hatte etwas bei sich, ein kleines Kästchen. Das öffnete sie und zum grossen Erstaunen aller Umstehenden, nahm sie daraus etwas hervor, das noch niemand zuvor gesehen hatte. Ein Stück Holz das mit einer hölzernen Trommel mit zwei Löchern verbunden war. Und darüber waren vier Fäden gespannt. Dieses seltsaem Ding nahm Sonja in die eine Hand, und in der anderen hielt sie ein anderes Holz mit einem Faden und strich damit über die vier aufgespannten Fàden. Und jetzt hörte man einen wunderbaren, zarten, feinen Ton.
Und schon beim ersten Klang leuchtete das Gesicht des Kindchens auf. Ganz entzückt öffnete es, als Sonja ihr Lied zu spielen begann, die Augen, öffnete den Mund, brachte aber vor Glück und Staunen nichts heraus. Aber als Sonja weiterspielte und auch dazu zu singen begann, winkte das Kindchen mit den Armen und strampelte mit den Beinchen und quietschte vergnügt und begann dann richtig zu Lachen und wollte nicht mehr auffhören. Als Sonja ihr Lied zu Ende gespielt hatte, verzog sich die Miene des Kindchens. Es war ganz enttäuscht, seine Mundwinkel gingen nach eine Träne kullerte über die Wangen und es begann zu Weinen. 

Eigentlich wäre ja nun der Wettbewerb entschieden gewesen. Aber da tuschelte das Blechmönsterchen mit seinen Anhängern und schliesslich meldeten sich der Oberflöter und der Obertrommler gemeinsam zu Wort: Sie verlangten, dass das Blechmönsterchen nochmals spielen dürfe, da doch sie, die Halbschuhe von Anhängern, es bei seinem Vortrag gestört hätten, was nicht mehr vorkommen werde. Es sei ja auch völlig klar, dass nur wegen diesem Gebrüll dieser Halbschuhe das Kindchen zu weinen begonnen hätte, und nicht weil dem Kindchen die Musik des Blechmönsterchens nicht gefallen habe. Es ginge einfach nur um die Gerechtigkeit. Was blieb den Kindern, Sonja und dem Prinzen anderes übrig. Die Fans des Blechmönsterchens waren doch in der Überzahl. Also willigten sie ein, das Blechmönsterchen niochmals spielen zu lassen. Aber das hätten sie vielleicht besser nicht getan.
Denn nun begann das Blechmonster nochmals zu spielen. Und was hörte man da! Es spielte genau das, was Sonja gespielt hatte. Es hatte alles aufgenommen und mischte es nun auch noch mit Trommeln und Flöten und vielstimmigen Chörchen. Und es war einfach sensationell, wie das tönte. Ja, viel deutlicher irgendwie und von allen Seiten kam der Ton.
Das Kindchen war entzückt. Es freute sich, diesen Klang wieder zu hören und strampelte und winkte und verzog sei en Mund zu einem Lächeln. Dann öffnete es seine Augen. Als es da ebr das Blechmonster sah, erschrack es fürchterlich und begann laut und herzerweichend zu Weinen und das Geschrei des Kindchens mischte sich mit den wundervollen Klängen, die das Mönsterchen aus seinem Apparat erschallen liess. Und als das Blechmonster einsehen musste, dass es schon wieder verloren hatte, wurde es zornig und begann immer lauter zu trommeln und flöten. Immer lauter und lauter. Es donnerte los wie ein fürchterlicher Orkanwind, um das Geschrei des Kindchens zu übertönen, was ihm auch beinahe gelang. Aber als Sonja, der Prinz und ihre kleine Anhängerschar merkten, dass sie den Wettstreit gewonnen hatten, begannen sie nun zu lachen und zu jubeln, klatschten in die Hände und schrien zum Monster, so laut sie konnten : „Ja, Monster. Komm! lauter! lauter! Lauter!„ Und das Blechmonster wurde nur noch wütender bis es schliesslich mit einem Riesenknall explodierte und in tausend Stücken seinen verduzten Fans um die Ohren flog.
Und erst als alle Blechteile scheppernd und rauchend vom Himmel gefallen waren, und es völlig ruhig war, begann das Kindchen in der Krippe laut zu lachen! Und während die Anhänger des Blechmönsterchens sich verkrochen, kamen nun aus den Häusern die Anhänger der Kinder geeilt, und bejubelten ihren Sieg.
Als man Sonja fragte, wie sie denn auf diese Idee mit diesem seltsamen Instrument gekommen sei, sagte sie. „Als ich gestern ganz niedergeschlagen eingeschlafen war, träumte ich davon, dass ich einmal als kleines Baby etwas Wunderbares gehört hatte. Ein Jäger hatte neben mir seinen Pfeilbogen an die Wand gelehnt und der Wind strich über die Saite des Bogens und entlockte ihr eine wundervolle Melodie. Der Traum war so schön , dass ich aus dem Schlaf erwachte. Die ganze Nacht habe ich daran gearbeitet, und wurde nicht müde. Im Gegenteil: Ich wurde immer wacher. So hab ich mir selber aus vier Pfeilbogen mit vier Saiten ein solches Instrument gebastelt und anstelle des Windes nahm ich einen fünften Bogen, um über die Saiten zu streichen. Die Melodie musste ich nicht erfinden. Ich hatte sie ja schon gehört, im Traum, und als kleines Baby schon, und hab sie nie vergessen. Ich musste sie nur spielen.„

Wenn ich mich nicht irre, hat diese Sonja später, als sie eine erwachsene Frau war, den Prinzen geheiratet und sie hatten selber viele Kinder. Und Tröten wurde zu einer schönen, blühenden Stadt und der liebe Gott erfand das Wetter und die Berge und Täler und das ist jetzt schon einige Zeit her. Aber damals in Tröten entstanden die ersten Instrumente, von denen es heute so viele gibt, und es werden noch täglich neue entdeckt, mit anderen, neuen Tönen und Klängen.
Und zur Erinnerung an diesen Glücksfall in Tröten, gehen noch heute manchmal in gewissen Städten zu gewissen Zeiten die Menschen mit Flöten und Trommeln durch die Strassen und Trommeln und Flöten gemeinsam. Einfach so. Aus Freude. ... Ja, ... vielleicht aber auch, um dem Blechmönsterchen einzubläuen, dass es besser verduftet von hier, und nie wieder kommt. Denn es gibt Leute die glauben, dass das Blechmönsterchen noch heute irgendwo in einer düsteren Ecke hockt und versucht, sich aus seinen verstreuten Teilen nochmals selber zusammenzubauen.

Aber ich glaub, das sind alles nur Märchengeschichten.

 

Copyright: Steintisch Verlag Zürich 2002

 

 
 
 

Feedback