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Daniel Ambühl  Bildweg  >  Dokumente

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Geschichte und Schichtung
 

Was geschieht, wenn ein Künstler ein Kunstwerk schafft? Er erzählt sich zuerst einmal selber eine Geschichte; dann entsteht ein Musikstück, ein Bild oder eine Erzählung. Das Musikstück wird gespielt, hat einen Anfang und ein Ende und eine Dauer dazwischen. Die Erzählung wird gelesen und hat ebenfalls einen Anfang und ein Ende sowie eine Dauer in der Mitte. Und ein Bild? Wir stehen vor der Wand, an der das Bild hängt, und fragen danach, welche Dauer, welche Zeit dieses Fenster zum Geträumten denn haben könnte. Es ist doch bereits abgeschlossen, ist eingeschlossen in einen Rahmen, als Übriggebliebenes eines künstlerischen Prozesses zurückgelassen vom Künstler, der nun auch nicht mehr Interpret seines Kunstwerkes sein kann, es nicht mehr spielen und nicht mehr vorlesen, sonderen einfach nur daneben stehen kann.

Dem Bild wurde die Zeit, die Dauer zwischen Anfang und Ende gestohlen. Dem Bild? Ja, vielmehr dem Betrachter des Bildes, denn das Bild verbirgt diese Zeit in ihren Schichten und fordert sie nun vom Betrachter als Geduld, als Bereitschaft, den Weg selber zu gehen. Es geht nicht nur darum, dem Bild Zeit zu widmen im Betrachten, sondern auch, ihm Zeit zu schenken in die Enge seiner Schichtungen hinein, diese gleichsam auseinander zu ziehen, sodass eine Geschichte entsteht.

Eine Geschichte will erzählt sein, Wort um Wort, Ton um Ton, Schritt um Schritt. Der Bildweg gibt dem Betrachter die Möglichkeit, diese Geschichte wirklich - Schritt für Schritt - einzusammeln. Die einzelnen Stationen erzählen ihre eigenen Geschichten und fügen sich zu einem grösseren, umgreiffenden Thema zusammen. Dieses Thema besteht zu einem wesentlichen Teil in der Erinnerung an die Einzelbilder - Erinnerung aber nicht als sentimentale Wegzehrung, sondern als Stifterin eines Zusammenhanges, der über die Erfahrung der Gegenwart hinausgeht und Dauer, ja Ewigkeit schenkt.

Die Gegenwart fliesst unfassbar davon. Dort gibt es keinen Halt und keinen Zusammenhang; dieser bedarf stets des Einsammelns auf dem Weg der Erinnerung. Zusammenhang - thematische Ordnung - wird uns nicht einfach vor die Füsse gestellt: Wir sollen den Weg gehen und die einzelnen Schritte erfahren. In unseren Gedanken und unserem Empfinden bildet sich dann die Geschichte des Weges heran, die Schichtungen des Bildes offenbaren sich.

So wird dem "Bildgänger" mit den einzelnen Säulen und Bildplatten der Zusammenhang nicht fixfertig in die Hände gedrückt; er muss den Weg selber gehen, um nach den sieben Bildsäulen, das achte Bild - sein eigenes- zu schaffen.

Das achte Bild ist nach den sieben Einzelbildern die Gesamtheit des Weges. In der Schöpfungsgeschichte wird von den sechs Schöpfungstagen erzählt und vom siebten Tag, unserer Gegenwart. Der achte Tag ist dann die Gesamtheit unsereres Lebens hier. Er ist nicht das Ziel des Weges, sondern seine Fassung. Für uns, hier auf dem Weg der sieben Tage, ist der achte Tag noch unfassbar.

Die einzelnen Bilder des Bildwegs sind auf das achte Bild hin gerichtet. Stets werden bestimmte Motive der Einzelbilder in die Fassung des Achten gebracht. Damit ist der Bildweg nicht nur Gleichnis des künstlerischen Prozesses, sondern Sinnbild der Schöpfung: Das unfassbare Ganze unseres Lebens ist schon da; die einzelnen Erlebnisse und Begegnungen sind auf dieses Unfassbare hin gerichtet und werden auf dem Weg des Menschen gesammelt. Könnte "Achtung" gegenüber dem Leben, der Welt und dem Menschen etwas mit dieser "Acht", mit diesem achten Bild, dem achten Tag zu tun haben?

 


Thomas Primas

Erschienen im Dokumentationsheft zum ersten Zürcher Bildweg, der vom 1. bis  31. Januar 1997 dauerte. Im Originalheft sind zwei weitere Texte von Thomas Primas enthalten: "Die Anfänge des Bildwegs" und "Die Schöpfung des Menschen"

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