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Kurzfassung
der Geschichte vom Brennesselmann |
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DER
BRENNESSELMANN 1.
KAPITEL Der
Abt rief mich eines Tages zu sich um mir etwas zu zeigen.
Mit Hilfe einer Leiter überstiegen wir eine Mauer und kamen in
eine Art Garten. Dieser Garten ähnelte eher einem Raum ohne Dach. Von
keinem Ort des Klosters konnte man in diesen Raum sehen. Der Garten war
mit hohen, stark duftenden Brennesseln bewachsen. Auf
vielen Pflanzen waren Raupen zu sehen, die an den grünen Blättern
frassen. In den tiefen Ritzen zwischen den Mauersteinen hingen Stürzpuppen
von Schmetterlingen. Auf einem Mauervorsprung sass ein Schmetterling,
der plötzlich wegflog. Ich
hätte soviele Fragen zu diesem wundersamen Garten gehabt, traute mich
aber nicht, sie dem Abt zu stellen. Zurück
im Arbeitszimmer des Abtes sah ich zwei vollgepackte Ledertaschen auf
einem Holzgestell an die Wand gelehnt. Der
Abt sagte zu mir: Einer unserer Brüder hat vor vielen Jahren das
Kloster verlassen. Seither lebt er ganz alleine in den Alpen des
Hoch-Ybrigs, und selbst im Winter kommt er nie ins Dorf Oberiberg.
Obwohl er nicht mehr zu unserer Klostergemeinschaft gehört, bringen wir
ihm jedes Jahr ein paar Sachen für den langen Winter. Heute wirst du
die Wanderung ins Hoch-Ybrig machen um dem Brennesselmann - so nennen
ihn die Einheimischen - alles zu bringen. Frag unterwegs nach ihm und du
wirst ihn finden. Noch
am selben Abend machte ich mich auf den Weg nach Gross, Euthal,
Unteriberg, bis ich nach dem Aufstieg durch die Jessenen das Dorf
Oberiberg erreichte. Hier sagte mir
ein Mann, ich solle vom Tschalun über die Buoffenalp erst zum
Laucherentobel aufsteigen, wo der Alppfad in den Weg zur Fuederegg einmünde.
Von dort sei es nur noch ein kurzes Stück bis ins Hoch-Ybrig. 2.
Kapitel Aus
dem Wald des Laucherentobels hörte ich seltsame Geräusche. Es waren
Soldaten, die im Auftrage des Königs Wasser aus der schwefligen
Heilquelle abfüllten. Dieses trübe Wasser stank mächtig, aber es war
seit Urzeiten als Berggeist bekannt. Ich
erzählte den Soldaten von meinem Auftrag, einem Mitbruder, der in der
Einsamkeit lebe, ein paar Sachen für den Winter zu bringen. Die
Soldaten erzählten mir von ihrem eigentlich geheimen Auftrag einen
Sektenbruder, der Brennesselmann
genannt wird, zu fangen und einzusperren. Der
Brennesselmann soll angeblich Wanderer misshandelt und entführt, aber
auch Kranke geheilt haben. Er habe eine grosse Anhängerschaft in der
Stadt und seine Jünger würden sich SCHMETTERLINGE nennen und mit
langen, flatternden Tüchern bekleiden. Das
Ganze solle damit angefangen haben, dass es in der Stadt vor vielen
Jahren eine aussergewöhnliche Menge von Schmetterlingen gegeben habe. Die
Anhängerschaft des Brennesselmannes redeten den Leuten des Landes ein,
sich an den Schmetterlingen ein Vorbild zu nehmen.
Die Leute sollen nicht mehr so viel arbeiten und sich nur noch
den schönen Sachen widmen. Es kam zu Krawallen zwischen den Leuten und
den Anhängern des Brennesselmannes. Der Brennesselmann soll an allem
Schuld gewesen sein, weil er all die vielen Schmetterlinge, die in der
Stadt auftauchten, gezüchtet haben soll. Nach
diesen Mitteilungen verabschiedete ich mich von den Soldaten und machte
mich weiter auf den Weg Richtung Fuederegg. 3.
Kapitel Als
ich um eine Wegbiegung kam, sah ich Rauch, Flammen und eine Feuerstelle
am Rande einer Lichtung. Im Halbdunkel des Waldes entdeckte ich einen
Mann. Er trug einen langen, bunt gefleckten Rock und um den Hals eine
Kette mit einem in Gold getauchten Schwalbenschwanz-Schmetterling. Es
war der Brennesselmann. Ich
stellte mich vor, erzählte hastig von meinem klösterlichen Auftrag und
schilderte ihm die bedrohliche Lage, in der er sich befände. Dies alles
schien aber den Brennesselmann nicht sonderlich zu beunruhigen. Nach
einer Weile gingen wir gemeinsam zu seiner Hütte. 4.
Kapitel Das
Haus des Brennesselmannes lag auf dem Sattel der Fuederegg. Von dem Haus
war nur das Dach und der Kamin zu sehen, alles andere war von mannshohen
Brennesseln zugewachsen. Als
ich mich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, sah ich viele schlafende
Menschen, die unter Tücher versteckt am Boden sassen. Der
Brennesselmann führte mich nun durch seine Hütte. Wir stiegen auf den
Dachboden. Dort hingen Abertausende von Schmetterlingspuppen an den
Balken und Brettern des Unterdaches. Auf
dem Haufen lagen Hunderte dieser Menschenhäute. Wie du vielleicht
weißt, erklärte mir der Brennesselmann, häuten sich die Raupen
im Verlauf ihrer Entwicklung einige Male. Bei den Menschen ist das nicht
anders. Was du hier siehst, sind die Häute all der Besucher, sie sich
eine Stufe weiterentwickelt haben und mir als Dank ihre alte Haut
geschenkt haben. Aber wie bei den Raupen, so ist es auch bei den
Menschen: Nach einer Häutung erkennt man sie manchmal nicht wieder. Daher
kämen auch die Gerüchte, dass die Wanderer, die zu ihm in die Berge kämen,
verschwunden seinen. Es seien aber alle wieder zurückgemkommen, nur
seien sie von ihren Freunden und Bekannten nicht wiedererkannt worden. Plötzlich
erschallte von draussen ein Trompete. Die Soldaten näherten sich der
Fuederegg. Ergebt euch und kommt raus, rief der Kommandant.Schon
kamen zwei Reiter durch die Brennesseln
und legten mit Fackeln kurzerhand Feuer. Wir alle mussten aus dem
Haus flüchten, um nicht zu verbrennen. Die Soldaten fingen die Menschen
in ihren bunten, flatternden Tücher einen nach dem anderen ein.
Mich erkannten die Soldaten wieder und liessen mich frei.
5.
Kapitel Die
Gefangenen wurden an einer Kette hinten an den Karren gefesselt. Der
Abschluss der Kette bildete der Brennesselmann. Auf
halbem Weg kamen ihnen etwa
hundert Kühe entgegen, es war eine Alpabfahrt. Da der Weg zu eng war
zum Kreuzen, wurde diskutiert, wer denn nun umkehren müsse. Es
gebe keinen Weg über die Weglosen ins Tal. Also
befahl der Kommandant den Soldaten umzukehren. Erst jetzt sah der Senn
die Gefangenen. Was hat denn der Alois angestellt?, fragte er den
Kommandanten und zeigte auf
den Brennesselmann. Ihr kennt den Brennesselmann? wunderte sich
der Kommandant. Ich habe ihn schon gesehen, antwortete der Senn,
aber das hier ist nicht der Brennesselmann. Das ist der Alois, der früher
einmal Senn war in der Mördergruebi, dem Älpli ob dem
Steinboden. Nun
erzählte der Senn, was er von Alois wusste. Alois sei ein fauler Senn
gewesen. Das hätte man schon bald gesehen, weil vor seiner Sennerei
Brennesseln wuchsen. Er hätte den Stall nicht richtig ausgemistet, die
Gülle sei über den Abhang geflossen, und da seien dann die Brennesseln
gewachsen. Die Bauern haben ihm die Kühe nicht mehr auf die Alp gegeben
und darum sei er mit seiner einzigen eigenen Kuh auf die Fuederegg
gekommen und habe sich dort ein Hüttchen gebaut. Aber
auch da seien schon bald rundum Brennesseln gewachsen. Eines Sommers
aber seien aus dem Tal Wanderer angekommen, die den Brennesselmann
gesucht hätten. Da habe Alois gedacht, er würde vielleicht etwas
verdienen, wenn er die Wanderer bei sich übernachten liesse, sie
bewirte und so tue, als sei er der Brennesselmann. Es habe sich für ihn
auch gelohnt, denn die Besucher brachten ihm Geschenke und Esswaren. Der
Brennesselmann aber, der sei ganz anders. Der sei ein Eremit, ein
Schmetterlingsforscher, ein Heiliger, aber scheu wie ein Reh. Alois
aber rief dem Senn zu: Sag ihnen, dass ich nichts Böses getan habe
und dass die Häute der Menschen auf dem Dachboden nur aus Schweineblasen gemacht waren. Sag
ihnen, dass es nur eine Schau war, weil das die Besucher doch so
wollten. Sag ihnen auch, dass es nicht meine Schuld war, wenn die Leute
nach dem Besuch in meiner Hütte nicht mehr an ihren Wohnort zurückgekehrt
seien. Bei
der Fuederegg war vom Haus nur noch ein schwarzer Fleck im
Brennesselfeld übriggeblieben. Die
Sennen mit ihren Kühen und die Soldaten mit ihrem Heilwasser und den
Gefangenen gemeinsam talwärts. Ich
aber entschied mich, erneut umzukehren, den zuvor eingeschlagenen Weg
durch den Grüenwald zu Ende zu gehen, um vielleicht doch noch den
Brennesselmann zu finden. 6.
Kapitel Unten
am Seebli -See sass ein Fischer auf einer Landzunge. Seid ihr noch
nicht weiter, Pater?, fragte er mich, und ich sah, dass es derselbe
Mann war, der mir kurz nach Oberiberg den Weg ins Hoch-Ybrig erklärt
hatte. Als
ich ihm kurz erzählte, was ich seit Sonnenaufgang erlebt hatte, lachte
er und meinte: Dann sind sie doch schon weiter gekommen, als ich
zuerst gedacht habe. Sind
sie dem Brennesselmann schon einmal begegnet?, fragte ich den alten
Mann. Ja,
aber das ist schon lange her. Dann
schaute mich der Fischer an:Ich verstehe nicht, weshalb der Abt jedes
Jahr Patres zu ihm schickt. Der Brennesselmann ist meiner Meinung nach
schon lange gestorben. Ich müsste es jedenfalls wissen, wenn er noch
lebte. Schliesslich bin ich immer hier oben. Der
Brennesselmann hat mir erzählt, dass er das Kloster verlassen hat, weil
er nur vor Gott stehen wollte. Aber auch in den Bergen habe er Gott
nicht gefunden und er hätte damit begonnen, Brennesseln zu züchten. Aus
den Samen der Brennesseln hat er Brot gebacken. Er hat den Raupen,die
sich von den Brennesseln
ernährten, geholfen, Schmetterlinge zu werden. Einigen
wenigen Besuchern hat er vom Leben der Schmetterlinge
und von ihren wundersamen Verwandlungen erzählt. Darauf seien
immer mehr Besucher gekommen, die diese Geschichten hören wollten. Als
dann zuviele Besucher kamen, brannte er seine Hütte ab und verliess den
Ort. Als
ich ihn vor einigen Jahren traf, besass er keine Klause mehr und er
sagte mir, er sei auf dem Weg, daheim und denen, die ihn suchten, gehe
er entgegen. 7.
Kapitel Als
ich nachts an das Tor des Klosters klopfte, hat der Abt schon auf mich
gewartet. Der Abt entzündete im Herd Feuer und setzte Wasser auf. Ich
legte den Brotsack, der mir der Fischer für den Fall, dass ich den
Brennesselmann doch noch finden sollte, mitgegeben hatte, auf den Tisch
und erzählte dem Abt alles, was ich auf meiner Reise erlebt habe. Der
Abt hörte aufmerksam zu. Nur einmal unterbrach er mich, als er das
kochende Wasser vom Herd nahm und nirgends Tee finden konnte. Nachdem
ich meine Geschichte erzählt hatte, faltete der Abt die Hände vor dem
Gesicht, legte sein Kinn auf die Daumen und schloss die Augen. Dass
der Brennesselmann noch lebt, begann er leise, das glaube ich,
ohne es zu wissen. Er öffnete die Augen und schaute mich an: Die
meisten seiner Bücher über die Schmetterlinge befinden sich in der
Bibliothek des Klosters. Der versteckte Garten im Kloster
wurde vor langer Zeit gebaut, um diesem Bruder, dem
Brennesselmann, immer einen Platz im Kloster freizuhalten. Der
Morgen graute schon, als ich mich endlich in meiner Kammer auf die
Bettstatt hingelegt hatte, um noch eine halbe Stunde zu schlafen. Da
klopfte es an der Tür. Es
war der Abt. Er streckte mir den Brotsack, den ich auf dem Tisch
vergessen hatte, lachend und kopfschüttelnd entgegen: Ich habe die
ganze Zeit Tee gesucht, und du hast deinen Brotsack bis oben gefüllt
mit Brennesseltee.
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