Daniel Ambühl  Bildweg  Greifswald  Dokumente

 

Das Erlebnis des Heiligen
  Im Werke des Greifswalders Caspar David Friedrich kommt mit tiefem Ernst und grosser Wahrhaftigkeit das zum Ausdruck, was ich im folgenden "Das Erlebnis des Heiligen" nennen möchte. Vielleicht wäre es zeitgemässer gewesen, diesen Text "Der Schein des Heiligen" zu nennen, um uns wach zu halten für die schillernden Irrlichter des Scheinheiligen. Doch soll die Romantik hier nicht einem kritischen (nur nie wirklich selbstkritischen) Zynismus ausgeliefert werden, der sich in seiner Angst vor der eigenen Unentschiedenheit endlos ergötzen möchte an der Vielfalt der Möglichkeiten Fehler zu machen und das Gut gemeinte, Böse zu tun.

Wenn wir nicht die ganze Anstrengung unseres Geistes und unseres Herzens darauf verwenden, in die Nähe dessen zu kommen, was "heil" und "heilig" heissen könnte, gleicht ein Zugang zu den Werken der Romantik einer gerichtsmedizinischen Untersuchung an einem leblosen Körper. Durch Caspar David Friedrichs Kunst kommt zum Ausdruck, dass das Heilige nicht der kitschige Schein von irdischem Frieden ist, nicht esoterisches Geheuchel mit Düftchen und Tüchlein und hypnotischen Plappereien über die eigene Erwähltheit, und dass man nun endlich wisse, worum es gehe, nicht die Zuckerbäckerkunst mit ihren Schlagsahneheiligenbildchen, sondern dass zum Erlebnis des Heiligen vielmehr der Schrecken des Zerbrechens des Heiligen gehört, das Grauen der Verwesung und der Zersplitterung des zuvor Einen, immer wieder: Untergang der Hoffnung, und der Schmerz der Erkenntnis eines Lebensweges, der "Versöhnung mit einer unheiligen Welt" heisst. Einer unheiligen Welt aber- und das ist die entscheidende Annahme und das entscheidende Erlebnis der Romantik - , in die mit dem Menschen mitzugehen sich das Heilige auch entschieden hat, indem es sich im Unheiligen verbirgt.

Caspar David Friedrich mit einem gesellschaftspolitisch historischen Begriff von Romantik gleichzusetzen ist unsinnig. Zwar ist in einzelnen Werken die Einwirkung der Terminologie und Programmatik der deutschen Generation der Romantik klar ersichtlich, doch ist bei ihm die oberflächliche Begeisterung für das Heldentum des deutschen Mittelalters, die billige Phantasmagorie des unbezwingbaren Geistes der Ahnen immer gebrochen durch den strengen Moll-Akkord der Vergänglichkeit: Es war einmal. Selbst seine klar politisch ausdeutbaren Werke sind auf eine Ebene gehoben, in der sie dem Sturm und Drang der sich überstürzenden zeitlichen Ereignisse einen Wert abringen, der als menschliche Grundstimmung inmitten der kurzlebigen Opportunitäten politischer Ausdrücke bis heute Bestand haben. Dies hat wohl auch damit zu tun, dass Friedrichs Sujets vom Öffentlich-Allgemeinen abgekehrt und vollständig zurückgenommen sind ins Private, Persönliche. Auch seine christliche Vorstellunsgwelt, ist von allem äusseren Nacherzählen - dessen Billigkeit ihn bei den sehr erfolgreichen Nazarenern abstiess - befreit und wieder als Geheimnis persönlicher Empfindung in seine Landschaften hineingelegt.

Mit der Seele zu schauen, mit dem Blick auf die Möglichkeit des Heils, das im Zerbrochenen wohnt, die Welt zu schauen, das heisst auch, den gebrochenen Menschen mit der Hoffnung auf Ganzheit zu betrachten, die Ruine, die Gräber zu schauen auf die Möglichkeit des Heils in der Zeit, des Heiligen in einer Welt in der alles vergänglich scheint. Romantik heisst Mut zum Schmerz, Wehmut. Er kann das tief in ihm wohnende Empfinden einer Ganzheit, die dem nur äussern Blick lächerlich und klar widerlegbar scheint, nicht betäuben. Der Romantiker erkennt den Widerspruch zwischen Aussen und Innen, Verborgenem und Erscheinendem. Er ist aber nicht bereit eins von beidem zu töten, zu betäuben und in sich auszurotten. Lieber schwankt er in der Dämmerung des Brachlandes zwischen den beiden Seiten und erlebt in der eigenen Zerbrochenheit und Zerrissenheit in schmerzhafter Klarheit die Bedeutung seiner Existenz. Viele Gefahren liegen auf diesem Weg: Die Abkehr von der Welt, Gleichgültigkeit. Keine politische Bewegung. Die Romantik hat Worte, Musik, Bilder, aber keine Skulpturen und keine Bauwerke, keine Massenbewegung. Romantik ist etwas, was aus der Stille wächst, mit der Geschäftigkeit wird sie vertrieben. Andacht. Musse. Das schöpferische Element der Kunst. Aura, der Schein des Heiligen, oder wie es in der Mystik vom Gold (Aurum) heisst: Das Gold ist die Erscheinung der Schöpfung Gottes.

Es ist ein schwieriges Unterfangen über das "Heil" zu reden. Sollen wir uns aber die Sprache und das Denken verbieten lassen, nur weil eine irrlichternde Masse einst (und auch heute noch) "Heil" brüllt, um geprügelt und aufgepeitscht von den eigenen Schlagwörtern zur Vernichtung des Menschlichen überzugehen? Wenn wir Erinnerung nur in der Weise pflegen, das Böse und Kranke nicht vergessen zu wollen, dann ist diese Erinnerung selber krank. Zugleich sollten wir nämlich auch versuchen uns zu erinnern, was diese geschändete Sprache, diese geschändeten Worte einst im Guten bedeutet haben und noch heute in uns im Guten bedeuten könnten. Zweiffellos benützt der machtgeile Diktator dieselben Worte, wie der, den er eben lynchen liess. Sollen wir uns an der Sprache rächen, weil sie im Mund eines kranken und bösen Menschen Gift und Vernichtung bedeutet? Es ist ein ernster Gedanke sich zu überlegen, ob nicht auch die Anlagen zum Bösen in der Sprache liegen, wenn sie zu Liebesbezeugungen ebenso benutzt werden kann wie zu Befehlen, in die Gaskammern zu marschieren. Rache heisst: Recht machen, wieder aufrichten. Das, was falsch und böse war, wieder in Ordnung bringen. Rache heisst: Böses gut machen.

Heil heisst eigentlich: ganz, ungeteilt, eins. Das Heilige bezeichnet die Einheit des Geteilten. Das was hier in Zeit und Raum immer dualistisch erscheint, als Widersprüche und Zweiheiten, nämlich Gut und Böse, Tag und Nacht, Mann und Frau, oben unten, reich und arm, gesund und krank - diese Dualität des Flackern zwischen den Polen, der Unentschiedenheit des Äusserlichen, diese Dualität ist im Heiligen aufgehoben. Vom Heiligen aber, wissen wir nichts. Es ist eine blosse Annahme.

Alles hat in dieser Welt von Zeit und Raum zwei Seiten. Hier ist nichts eindeutig. Das Eindeutige ist hier eine Lüge. Aber selbst die Lüge ist nie so eindeutig eine Lüge, wie man gerne annehmen möchte. Denn die Lüge hat auch einen Kern von Wahrheit. Es gilt hier nicht das Entweder - Oder. Nicht entweder Wahr oder Falsch. Es gilt hier das Einerseits und Andererseits. Das Heilige, Ganze erscheint hier als Dualität oder als Vieldeutigkeit. Das Heilige ist eine Verborgenheit. Wenn etwas aus der Verborgenheit in Erscheinung tritt, dann im Zeichen der Zweideutigkeit. Im Erscheinenden ist nichts eindeutig.

Aus dem innersten des Menschen meldet sich: "Ich bin doch eindeutig. Ich bin der und der. Ein Mensch, kein Affe usw.." "Durchaus!" könnte man antworten, "aber wer bist Du denn?" "So, wie ich aussehe." "Ja aber früher hast Du anders ausgesehen. Und selbst wenn Du gestorben bist, wird man nicht sagen, Du seist der, der so aussieht. Ist denn das so eindeutig, wer Du bist? Kannst Du beweisen, dass Du so heisst, wie Du heisst?" "Ja natürlich. Ich habe einen Pass." "Der könnte aber falsch sein." "Man könnte Dich verwechselt haben im Spital, als kleines Baby." ad infinitum... Eine andere Begegnung dieser Art: Als unsere Tochter in Berlin geboren wurde, wollten wir kurz danach in der Schweiz reisen. Dazu benötigten wir einen Schweizer Reisepass. Und man sagte uns: Gehen sie mit dem Geburtsschein, der in Berlin Mitte ausgestellt wurde, zur Einwohnerbehörde und lassen sie dort das Photo ihrer Tochter beglaubigen, welches wir für den Pass benötigen. So marschierten wir mit der Tochter im Buggy, dem Photo, das wir von ihr machen liessen und den Papieren ins Einwohneramt. Dort baten wir eine Beamtin, uns zu beglaubigen, dass es sich bei dem Photo um das Photo unserer Tochter, die hier im Wagen sitzt, handelt und überreichten ihr dazu auch den Geburtsschein. Eigentlich eine eindeutige Sache, nicht wahr. Weit gefehlt! Es sei nicht möglich, das zu beglaubigen, weil man nicht wüsste, ob das Kind in dem Wagen tatsächlich das Kind sei, welches auf dem Geburtsschein aufgeführt sei. Dazu müsste auf dem Geburtschein ein Photo sein. Der langen Rede kurzer Sinn: Die Behörde konnte uns nicht beglaubigen, dass es sich bei unserer Tochter um unserer Tochter handelt, obwohl wir alle uns zur Verfügung stehenden Papiere besassen. Eigentlich wissen nur wir, dass es sich bei unserer Tochter um unsere Tochter handelt, vorausgesetzt, dass sie nicht eines Nachts, ohne dass wir es bemerkt hätten ausgetauscht wurde. Eindeutig ist hier nichts. Hier ist alles Wahrscheinlichkeit, was heisst: Schein von Wahrheit.