Daniel Ambühl  Bildweg  Greifswald  Dokumente

 

Freiheit und Kunst
  Kunst ist eine unbeweisbare und aber auch unwiederlegbare Behauptung. Wir wissen nicht, was Kunst ist. Kunst ist eine persönliche Annahme des Menschen und daher auch Ausdruck seiner persönlichen Freiheit. Daher wurde die Kunst seit jeher als eines der höchsten Güter der Menschheit betrachtet, aber auch als eine seiner höchsten Aufgaben und Verantwortung.

In der abendländischen Kultur ist nach dem Umbruch der Neuzeit, welche das religiöse Leben in die persönliche Verantwortung des Individuums übertrug, nun ein ähnlicher Umbruch auch im kulturellen Leben festzustellen. Das kulturelle Leben ist in die Verantwortung des Individuums gegeben. Kirchen und kulturelle Institutionen bestehen zwar weiterhin. Sie bleiben marktmächtig und für breite Massen bestimmend, besitzen aber nicht mehr die allein bindende Kraft der vergangenen Zeiten von Glaubens- und Kunstgewissheit.

Die Gefahr einer individualisierten Religion und Kunst ist offensichtlich: Es fehlen ihr die Momente des gemeinschaftlichen Erlebnisses, der Vermittlung und Tradition, wenn sie nur für das Individuum gilt. Der Mensch vereinsamt und verstummt in einer nur persönlich gültigen Kultur und Religiosität. Es kann dem Individuum nicht gleichgültig sein, was der Andere, der Nächste glaubt und für Kunst hält. Orientierung in der Welt gründet auf Sprache und Erfahrungsaustausch zwischen Menschen und Generationen. Die Weltwirklichkeit ist mit einem Modell solipsistischer Religiosität und solipsistischer Kultur nicht erlebbar. Religion und Kunst wurden - wie es mit aller Macht im 20. Jahrhundert zum Ausdruck kam - biografisch. Dass der einzelne Mensch Religion und Kultur trägt und sich der Mensch mit dieser Annahme zum Ausdruck bringt ist heute einleuchtend. Fraglich ist hingegen geworden ob Religion und Kultur das Menschliche zum Ausdruck bringen. Die Aufsplitterung der religiösen und kulturellen Lebensformen fragt und sehnt sich aus ihrer innersten Tiefe nach einer menschlichen Gemeinschaft im Glauben und in der Kultur. Sektenbildungen aller Art geben davon Zeugnis.

Die Gefangenschaft des Einzelnen in seiner Freiheit, wird in der Entwicklung der abendländischen Kunst des 20. Jahrhunderts ersichtlich. Noch nie zuvor existierte eine solche Vielzahl gleichzeitig nebeneinander gültiger und selbst in ihren krassesten Widersprüchen unstreitiger künstlerischer Ausdrucksformen. Jeder Künstler pflegt seinen eigenen Stil, ist aber zugleich in dieser winzigen Nische des Stils gefangen und auf diese sogenannt originale Ausdrucksweise behaftet. Die Originalität in der Kunst definiert sich heute so: Anders zu sein, als alle anderen. Nicht das Gemeinsame, sondern die Abgrenzung gegenüber allem und allen anderen ist zum Signum moderner Kunst geworden. Dies ist nicht nur, aber weitgehend eine Folge des Kunstmarktes. Er vermarktet keine abstrakten Ideen, sondern konkrete Produkte eines persönlichen, biografischen Stils.