Zum ersten Mal in der
Geschichte der Menschheit hatte die Kunst im zu Ende gehenden Jahrhundert Gelegenheit,
sich auf ihr Dasein in einer demokratischen Grundordnung einzustimmen. Versuchen wir für
einen ersten Hinblick auf die Situation der Kunst in der Demokratie und im Rückblick auf
ihre Geschichte den Terminus der Kunst ganz breit und auch zugegebenermassen diffus zu
halten, als ein Begriff, in welchem sich so verschiedene Dinge wie der Kunstmarkt, die
Museen, die Gestaltung und Einrichtung des öffentlichen Raumes, die Institutionen und
Kommissionen und Schulen der Kulturpflege und auch das persönliche, existentielle Dasein
derer, die sich zur Kunst berufen fühlen, finden. Die erste Schwierigkeit, die dabei
augenblicklich entsteht ist diejenige, dass wir nicht wissen können, was Kunst eigentlich
ist, sondern dass die Annahmen, was sie sein könnte, fast jeden Versuch sprengen, sich
unter einem gemeinsamen Begriff zu versammeln. Nehmen wir vernünftigerweise an, dass wir
hier unter Kunst all dasjenige betrachten wollen, welches von den verschiedensten Menschen
und Gruppen und Parteien und Institutionen für Kunst gehalten wird. Es wäre dies dann
eine Betrachtungsweise der Kunst vom sogenannt Allgemeinen her, was selbstverständlich
eine Täuschung ist, weil auch alles Allgemeine, sofern hier ein Mensch denkt, nur immer
vom Persönlichen ausgeht und immer zum Persönlichen, sofern dies ein Mensch hört oder
liest, eingeht. Aber versuchen wir es dennoch:Die Annahme
dessen, was Kunst sei, hat sich im christlichen Abendland - ausschliesslich von diesem
soll hier die Rede sein - in der Renaissance enorm gewandelt. Ein neuer Begriff der Kunst
wurde geboren. Ein subjektiv-technischer Kunstbegriff, der im "persönlichen
Stil" des Künstlers und in der eigenhändigen Signatur seinen Ausdruck und seine
Gültigkeit fand. Es ist im Grunde noch unser heutiger, der neuzeitliche Kunstbegriff.
Weil er sich so krass von dem unterscheidet was ihm vorausging, und weil er nach 600
Jahren schon selbstverständlich scheint, bedarf es einiger Anstrengung , um
nachvollziehen zu können, was zuvor noch nicht Kunst hiess, aber vielleicht "Werke
des Glaubens".
Im Mittelalter und in der christlichen Tradition galt die
Herstellung eines Kunstwerkes als sakraler Dienst, als heiliges Handwerk, wie das Erbauen
eines Domes. Das Kunstwerk - ob Bild oder Reliquie oder Bauwerk - war heilig. Seine
Herstellung und Errichtung konnte nur deshalb von einem Menschen oder einer Gruppe von
Handwerkern gewagt werden, weil sie sich strengsten Regeln und Ritualen unterzogen. Alles
Persönliche, Profane, Subjektive und Äusserliche der eigenen Existenz musste dazu
aufgegeben werden. Niemals konnte ein heiliges Kunstwerk von einem Menschen unterschrieben
sein. Niemals durften die Vorgaben abgeändert werden, ja, selbst das Anbringen von
sogenannten "Verbesserungen" oder "Korrekturen"der Vorlagen galt als
Verstoss gegen das Grundgebot der Handwerker. Der Handwerker eines heiligen Bildes hatte
damit in seinem Bereich dieselben Auflagen, wie der Priesters bei der heiligen Messe. Das
Letzte, was man sich vorstellen konnte, wäre das, was wir heute "persönliche
Interpretation" oder "Improvisation" nennen würden. Die Einhaltung dieser
strengen Regeln zur Herstellung heiliger Bilder, stand unter der Aufsicht und Obhut der
Kirche. Die Regeln galten allgemein und waren verbindliches Gesetz. Die christliche,
römisch-katholische Kirche wurde damit gleichsam zur Wahrerin des Bildnisverbotes der
Bibel. Dies mag zwar zunächst widersprüchlich erscheinen, da die Kirche doch eigentliche
Bildwerke zuliess. Dadurch aber, dass diese Bildwerke im Schutz der Rituale der Kirche
standen, und im gesegneten Raum, im Raum der göttlichen Innerlichkeit entstehen konnten,
waren sie dem Nur-Äusserlichen, Nur-;ateriellen, dem Profanen und
existenziell-persönlichen Raum der Welt enthoben. Daher konnten heilige Bilder auch nur
in den Kirchen ihren Platz haben und wurden von diesme Ort lediglich zur Segnung und
Reinigung der äusserlichen Welt an bestimmten Feiertagen in Form der Prozessionen durch
die Strassen getragen. Es waren nicht Bilder des Jenseits, es waren jenseitige Bilder.
Alle Regeln und Gebote, denen sowohl die Priester als auch die Handwerker eines heiligen
Werkes unterworfen waren, dienten damit dem einzigen Zweck, in ihnen die Empfänglichkeit
für den heiligen Geist zu gewährleisten, durch den das Abendmahl oder das Bildwerk
heilige sein konnte. Damit war aber zugleich ausgedrückt, dass das Abendmahl, das
Bildwerk und die Bibel keine Menschenwerke, sondern eben heilig waren, Gotteswerk, das
durch den Menschen in der Welt lebendig wird. Der Mensch hat das Kunstwerk durch den
heiligen Geist von Gott empfangen. Kunst ist in dieser Annahme, was der Mensch Kraft
seiner Empfänglichkeit für den heiligen Geist hervorbringt. Kunst ist damit in der Ebene
des Materiellen und Handwerklichen dasjenige, was in der Ebene des Geistes der Glaube
heisst.
Machen wir hier einen kurzen Halt. Was haben wir nun eben gesagt?
Heilige Bilder? Sie sind doch aus ganz normaler Farbe gemacht, auf ein Holzbrett gemalt,
aus Stein gemeisselt, die Bibel mit ganz normaler Tinte geschrieben auf Pergament oder auf
Papier gedruckt. Selbst unter dem Mikroskop ist von etwas Heiligem nichts zu sehen daran.
Meist weiss man, wer sie wann geschrieben und gemalt hat, zumindest aus welcher Schule und
welcher Epoche sie stammen und gewiss, dass es Menschen waren, die da malten und schrieben
und meisselten. Heilig? Empfangen von Gott? Durch den heiligen Geist? Davon weiss doch
niemand! Das ist wohl wahr, dass man vom Heiligen nichts wissen kann. Sonst könnte es
auch den Glauben , die Annahme des Heiligen, und auch die Kunst, die Annahme dessen was
Kunst sei, nicht geben. Das Wissen steht dem Heiligen scheinbar unversöhnlich gegenüber,
wie im Bilde der beiden Bäume im Garten Eden, dem Baum des Wissens (der Erkenntnis von
Gut und Böse) und dem Baum des Lebens. Prüfe sich jeder, ob es dennoch denkbar ist, dass
etwas gelten könnte, was man nicht wissen kann. Zum Beispiel, ob dem Menschen gilt, dass
er als genau dieser Mensch, als bestimmte, klar begrenzte Person, Mann oder Frau, an
diesem Ort, zu dieser Zeit, als Kind dieser Eltern in dieser Welt steht, ohne zu wissen
weshalb. Im Hinblick auf unsere Wirklichkeit müssten wir sogar sagen: Dies gilt vor
allem, als Grund und Fundament dessen, was wir als Leben erfahren, also auch als Grund
unseres Erkennen-Könnes und Wissens.
Zumindest aber müsste gelten, dass man fragen kann nach Dingen, die
man nicht wissen kann. Diese Aussage scheint zunächst ganz logisch ja, banal, wird aber
merkwürdig, wenn wir uns auf sie näher einlassen. Wenn wir uns fragen, woher es kommt,
dass wir nach Dingen fragen können, von denen wir nichts wissen können, dann würden wir
vielleicht sagen: Es komme durch unser Denken. Unser Denken scheint aus irgendeinem
unerfindlichen Grunde ansprechbar aus dem Bereich des Unwissbaren, deshalb kann es dann
nohc fragen, wenn das Wissen schon nicht mehr antworten kann. Wenn das Denkenes frei ist,
also ungebunden und ungezwungen vom Wissen, kann es auf den Bereich des Unwissbaren
deuten. Unser Denken ist als ein Fragen nach dem Fundament und der Voraussetzung des
Wissens immer über das Wissen hinausgerichtet und drängt ganz grundsätzlich nach
Überwindung des Wissens. Vielleicht vermögen wir manchmal zu empfinden, dass das Wissen
nie wirklich überzeugen kann, auch nicht eine Antwort, die sich für ein Wissen hält,
sondern überzeugend immer nur die Frage ist, die über diese hinausgeht. Somit müssten
wir kraft unseres Denkens annehmen, dass das Denken Trägerin des Undenkbaren ist, ein
Medium also, um sich dem Unwissbaren anzunähern. Das Denken des Menschen steht damit im
Ebenbild des heiligen Geistes Gottes, in der chirstlichen Ikonographie dargestellt als die
Taube. Bleibt das Denken aber an das Wissen, an das Kausale und das Nur-Erscheinende
gebunden, zum Beispiel indem ihm immer nur von der Seite des Wissens her geantwortet wird,
als ob die Frage ein Leid sei, das mit einem wissenschaftlichen Argument geheilt werden
könnte, dann kann es nicht mehr fragen, kann es nicht frei sein, nicht empfänglich sein
für die Wirklichkeit des Unwissbaren, dasjenige, was in der Summa theologica von Thomas
von Aquin mit dem Begriffe der Klugheit, als die Basis aller Tugenden bezeichnet wurde.
Als ein sich ausschliesslich um sich selbst drehender Argumentenwirbel des Wissens ist das
Denken aber kein Denken mehr, sondern ein sich dem Fundament seines Handelns unbewusster
und nicht Rechenschaft gebender Instinkt oder Reflex. Heute wird gar unter dem Begriff der
Intelligenz und des Intellektes mehrheitlich ein Funktionieren aufgrund kausal-technischer
und damit wissenschaftlich überprüfbarer Kriterien verstanden. Schnell ist man dann
bereit zur Aussage, auch Tiere könnten Denken, nur, weil so verstanden Intelligenz,
Instinkt Reflex und Intellekt tatsächlich keine spezifisch menschlichen Eigenschaften
sind. Zur Verwirrung der Begrifflichkeit zwischen Kasualität und Denken hat nicht zuletzt
wohl auch geführt, dass man den Menschen in einem zoologischen Artenmodell als homo
sapiens, den wissenden Menschen, platziert hat. Die menschliche Grundeigenschaft ist aber
nicht, dass er etwas zu wissen sich einbilden kann, sofern er sich am Denken hindert,
sondern dass er denken kann. Dieses Denken ist aber keineswegs innerhalb des Wissens
fassbar, auch nicht im hegelschen Sinne als ein "Wissen über das Wissen". Das
Denken ist ganz und gar der geistige Ort der Begegnung mit dem Unwissbaren. Dieser Ort
kann vom klugen Menschen persönlich in seinem Dasein eingenommen werden, wenn er es
erträgt, weder von seinem Wissen, noch vom Unwissbaren zu wissen.
Einzig aber in der Hinsicht, dass das Denken frei ist von Wissen,
ist es Kunst, von der doch einleitend gesagt wurde, sie fasse alle Annahmen dessen, wovon
man nichts wissen könne.
Das Unerträglichste ist dem Menschen, dass er nicht weiss, was er
im Innersten wissen möchte. Zum Beispiel: Liebt sie mich? Kann ich ihm Vertrauen? usw.
Die Unruhe, die von diesen Fragen ausgeht, kommt vom Denken her. Die gültige Antwort auf
diese Anfragen aus dem Unwissbaren kann aber nicht heissen, sich in einem vorgestellten
Wissen sicher zu fühlen. Die wirkliche Antwort hinter diesen Vorstellungen gründet auf
dem persönlichen Entscheid, ob der einzelne Mensch - in der schrecklichen Grösse seiner
lebendigen Freiheit stehend - bereit ist zu lieben oder zu vertrauen, oder nicht. Da wir
doch aber auch sagten, dass wir von der Kunst nichts wissen könnten, kann auch auf die
Frage "Was ist Kunst" nicht die Einbildung eines Wissen wirklich antworten, auch
nicht ein allgemeines, theoretisches Programm, sondern ihrem ureigenen Wesen nach nur die
Kunst im persönlichen Leben des Menschen. Dass damit allerdings keine Kunstgewissheit im
Allgemeinen gewonnen ist, verdeutlicht den Begriff der Kunst als eine zwar spezifisch
menschliche, aber immer nur in der persönlichen Annahme gegenwärtige Eigenschaft des
Menschen. Und schliesslich verhält es sich ebenso mit dem Glauben, der nie in einer nur
eingebildet-allgemein befolgten Glaubensgewissheit , aber immer in der persönlichen
Annahme durch den Menschen gegenwärtig ist. Damit sind wir wieder an dem Punkte
angelangt, der im Versuch, auf das Fundament des neuzeitlichen Kunstbegriffes hinzuweisen,
schon erreicht wurde: Die Taten, die Kunst und der Glaube des Menschen haben gemeinsame
Wurzeln im Unwissbaren. Im alten Testament, dem Fundament des geistigen Gebäudes des
christlichen Abendlandes, ist dies so ausgedrückt, dass die hebräischen Worte für
"Künstler", "Glaubender" und "Handwerker" identisch
geschrieben werden, dass also bei einer Übertragung in eine andere Sprache jeweils mit
gutem Recht für "Handwerker" auch "Glaubender" oder
"Künstler" übersetzt werden könnte. Dass bei einer solchen Übersetzung auch
die eben geschilderte Vielschichtigkeit verlorengeht, gehört zur allgemeinen Verwirrung,
die immer dann entsteht, wenn ein Wille am Werk ist, der die göttliche Poesie einer
transparent in die Tiefe gehenden vielschichtigen Darstellung persönlicher menschlicher
Eigenheit in einen vermeintlich eindeutigen, allgemein gültigen Sachverhalt quetschen
will. Genau dieser Wille ging in der Renaissance ans Werk und hat noch heute nicht
nachgelassen.
Im Widerstreit mit der Tradition steht die sogenannte technische
Entwicklung. Während im Raum der göttlichen Innerlichkeit des Menschen die unwissbare
Gewissheit einer ewigen Verfassung des Menschseins ruht, bewegt sich im äussern Schein
die Menscheit ständig weiter. Zwar ist die Technik immer auch Teil des Erbes einer
Tradition, in ihr aber gebunden an die persönliche Entscheidung der Annahme strikter
Regeln einer Verfassung des Menschsseins und ihren Zwecken untergeordnet. Die
Eigenbewegung der Technik ist aber von der individuell erfahrbaren Lebensgeschichte des
einzelnen Menschen ebenso losgelöst ist wie eine bloss abstrakte Verfassung des
Menschsein. Technik erscheint dem einzelnen Menschen immer als Versprechen eines
Fortschritt, d.h. als Richtung zum Besseren seiner existenziellen Lage. Während die
träge Tradition der Verfassung des Menschseins sagt: "Es ist gut", sagt der
Fortschritt: "Es wird gut", oder doch zumindest: "Es wird besser".
Immerzu stellt sich demnach - und nicht nur in der Renaissance die Frage: Was ist nun
wahr? Ist es gut, oder wird es gut? Oder andersherum gefragt: Ist heute Sonntag, der
siebte Tag der Schöpfung, kann ich ruhen in einer sonntäglichen Welt die aus Gottes
Sicht sogar "sehr gut" ist, oder ist heute Montag und es beginnt wieder die
Arbeitswoche, ich muss tun und mich mühen, damit es gut wird? Die Renaissance ist nun
eine geschichtliche Phase, in welcher der Mensch antwortet: "Es ist nicht gut! Aber
wir können es besser machen." Dieses Vertrauen, es könne besser gemacht werden, ist
ein Vertrauen in die Technik. Der Glaube an eine äussere Machbarkeit und eine äussere
Realisierbarkeit des "guten Menschen" und des "guten Lebens". Die
Anwendung der Technik muss aber stets gegen Widerstände der Tradition durchgesetzt
werden. Fortschritt ist keineswegs nur ein Mass für die menschliche Begabung zu
schöpferischer Entwicklungen der Technik - die Technik ist ihrem Wesen nach immer
unbändig -; Fortschritt kann mit gleichem Recht auch als Ausdruck für das Unvertrauen
gegenüber der Gültigkeit menschlicher Tradition betrachtet werden. Sitzt der Mensch auf
dem Stuhl des Richters, der zu urteilen hat, ob es gut sei oder besser werden könne, wird
er sich darauf einlassen müssen, die beiden Aussagen zu vergleichen. Dabei wird die
Technik sagen, sie könne es besser machen und die Tradition sagen, es sei doch schon gut.
Die Technik wird darauf verweisen, dass die Bilder der Tradition veraltet sind gegenüber
dem Bild, welches der traditionsgebundene Mensch von seiner Welt habe, dass man wissen und
beweisen könne, dass diese Welt anders sei und anders funktioniere, als es in der
Traditoion dargestellt würde, gar, dass das Wissen die Tradition eindeutig widerlegen
könne. Die Tradition wird demgegenüber sagen: Der in die Macht seiner Technik verliebte
Mensch wolle sich zum Gott oder gar über Gott erheben. Gerade der Glaube an die Technik
hätte den Menschen erniedrigt und zum Sklavendienst an unmenschlichen technischen Normen
gezwungen und alles Leid gebracht, unter dessen Eindruck man nun meine, die Welt sei
"nicht gut" und die Schöpfung unperfekt. Der Renaissancemensch entscheidet
sich, der Technik eine Chance zu geben, zu beweisen, dass er es mit ihrer Hilfe
tatsächlich vermöge, diese Welt besser und die Schöpfung perfekt zu machen. Dies
beinhaltet schon die Aussage Gott sei ein Stümper, der Mensch aber wolle nun seber zum
rechten sehen. Die Bindungen an die Tradition müssen dazu gelockert werden; ein wahrer
Ausbruch der Technik ist die Folge.
Nun soll aber hier keineswegs die Technik verteufelt werden. Sie
gehört - wie schon gesagt - zu dem Erbe, das jeder Mensch in dieser Welt antritt. Man
sagt zwar oft, Technik sei nicht rückgängig zu machen, nicht umkehrbar. Und es wäre
statthaft, dies im Blick auf den gesamten geschichtlichen Vorgang so zu sagen. Gemeint ist
aber meist etwas anderes, nämlich: Dass man eine Technik nie mehr los werden, dass eine
Technik nicht überwunden werden kann. Dies ist aber eine ungenaue Beobachtung dessen, was
wir einerseits von der historischen Geschichte wahrnehmen, war doch in einem gewissen
Sinne die Antike vergessen und überwunden bis zu ihrer Wiedergeburt in der Renaissance,
aber auch ungenau im Hinblick auf jede menschliche Biografie. Technik ist ein spezifische
Ausdrucksform menschlicher Hoffnung. Hoffnung als Wille. Solange mit einer Technik, die
der Mensch besitzt, ein Wille zur kausalen Verwirklichung eines Traumes vom Menschsein
verknüpft ist, wird dieser Traum und der Wille ihn zu verwirklichen, die Technik nicht
vergessen und nicht aufgeben könen. Wird eine Technik für untauglich ja sogar als
Hindernis erkannt für die Erfüllung des Traumes vom Menschssein, kann sie zwar
überwunden werden, indem auf ihre Benutzung willentlich verzichtet wird. Solange aber ein
Wille im Spiel bleibt, wird jede aufgegebene Technik lediglich durch eine neue ersetzt.
Lässt hingegen im Menschen der Wille nach, sich seinen Traum vom Menschsein selber
erfüllen zu wollen, ist deswegen die Technik, die er benutzte noch nicht überwunden und
aufgegeben. Sie wird aber vielleicht vom betreffenden Menschen einfach nicht mehr
wahrgenommen. Die Technik kann eigentlich nur vom Traum des Menschseins aufgehoben werden,
indem der Mensch die Begegnung mit einer verborgenen Anwesenheit seines Menschsseins auch
als Traum annimmt und im Vertrauen, dass es allein in dieser Annahme liegt, dass er
erfüllt ist. Keine Technik aber kann dem Menschen helfen, seinen Traum vom Menschsein
anzunehmen, wenngleich gerade dies die Esoteriker, die geistigen Mechaniker des Traumes
vom Menschsein immer wieder behaupten. Diese Hightechingenieure der Seele zu überwinden
ist deshalb so schwierig, weil ihr gnadenloser Wille zum Glück in der Verkleidung des
Traumes vom Menschsein daherschwebt.
Nun besteht aber der eigentliche Traum des Menschseins nicht in
einem theoretischen Schema, nicht in einem allgemein kategorisierbaren Verhaltensmuster
noch in planmässigen Ertüchtigungen eines religiösen Fitnesscenters, sondern wiederum:
Kann der Mensch sich persönlich annehmen, dann ist der Traum des Menschseins im Dasein
dieses Menschen lebendige Gegenwart. Dieses Sich-persönlich Annehmen-Können wäre dann
das Können, von dem auch die Kunst kommt. Es wäre ein Können, das gänzlich frei von
Willen wäre, und frei von Technik. Es wäre das, was man einmal Musse nannte: Die im
persönlichen Dasein offene Empfänglichkeit für die Wirklichkeit dieser Welt.
Und noch etwas sollte bedacht werden. Das Gottesbild hat sich
dadurch auch gewandelt. Galt Gott zuvor noch als ein persönlicher Schöpfer, durch den
das heilige Werk in der Welt getan, das Heilige erscheinen und lebendig sein konnte,
wandelte Er sich zunehmends zu einem diffusen Allgemeinen, Abstrakten, zu einem
theoretischen "Alles und Nichts Wert", dem Absoluten einer "kosmischen
Energie" und dergleichen. Vergessen wir nicht, dass im selben Masse auch der Mensch
nicht mehr als eine Person betrachtet werden konnte, sondern - im Ebenbild Gottes -
gleichfalls zu einem diffusen und allgemeinen Abstraktum, einem "Organismus" und
auch zu einer kosmischen Energie wurde, zu deren Entdeckung nun der Mensch, befreit vom
Respekt vor der Person aufbrach. Um aber zum Beginn dieser Abhandlung zurückzukommen:
Vergleichbar zur Wandlung des Gottes- und Menschnbildes ist auch der Wandel des Bildes der
Lenkung dieser Welt, auch der Staatsführung. Der König, als personale Führung einer
Gemeinschaft wandelte sich mehr und mehr zu einem gesellschaftlichen Organismus, dem
Volkskörper der Demokratie, in welchem, wie in einer Wolke die einzelnen Beweggründe der
Entscheide zur Lenkung einer Gemeinschaft diffus geworden sind.
Die Kunst als persönliche Empfänglichkeit.