Das, was wir heute
"Aura" nennen, kann von zwei Seiten betrachtet werden.Einerseits als ein Aufleuchten des Wesens eines Gegenstandes, als
Offenbarung, momenthaft, und nicht reproduzierbar. Die Aura ist in der Begegnung zwischen
Objekt und Subjekt ein privates Geschenk an die Erfahrung des Subjektes. Die Schau der
Aura ist nicht das Verdienst des Schauenden und kann in seinem Tun nicht begründet
werden. Das Geschehen der Enthüllung des innersten Wesens eines Gegenstandes wird in
dieser Sichtweise als das Erlebnis einer Gnade erfahren, die das Gesetz der Verborgenheit
des Geheimnisses durchbricht und damit die Dualität zwischen erscheinender Oberfläche
und verborgenem Wesensgrund aufhebt. Diese Schau der Aura ist eine Persönliche. Ihre
Erfahrung wiederum eine Verborgenheit. Unaussprechbar, unerklärbar. Es scheint, dass
diese Erleuchtung dem einzelnen Menschen, seinem einzigartigen Leben zugedacht ist und
dass dieser Mensch seine Erleuchtung durch die Aura des Gegenstandes nicht weitergeben
kann. Das Erlebnis der Offenbarung des Gegenstandes in seiner Aura, bringt dem Schauenden
eine Wendung. Dieser Wandel bezieht sich manchmal lediglich auf die Handhabung des
Gegenstandes, manchmal aber auch auf die ganze Haltung gegenüber den Erscheinungen der
Welt. Die körperlichen, vergänglichen Dinge werden als Schutz und Ummantelung eines
ewigen Kerns geschaut. Die Seele steckt im Körper. Dass die Seele sich offenbaren kann,
verdankt sie einer numinosen Macht: dem Zufall, Gott, dem Nichts, dem Chaos. Diese
Sichtweise tendiert dahin, den Körper wesentlich zu bedenken.
Die diametral andere Denkweise beschreibt die Aura als ein
stets vorhandenes ätherisches Kleid jedes Gegenstandes, einer Wesenshülle gleich, unter
welcher die physischen Eigenschaften des Gegenstandes scheinbar offen liegen. Diese Aura
ist nicht unstofflich sondern - um die Terminologie der Esoterik zu übernehmen, die
diesen Standpunkt exemplarisch vertritt - "feinstofflich", was bedeuten will,
dass die Aura durch die Verfeinerung der Sinne des Subjektes plötzlich als physische
Erscheinung wahrgenommen und auch behandelt werden kann. Das Erlebnis der Aura ist also
reproduzierbar, ein Verdienst des Tuns des Subjektes. Diese Aura ist daher unpersönlich,
also allgemein zugänglich und ihr Erlebnis kann von Eingeweihten an andere Menschen
weitergegeben, ja sogar vor Publikum veranstaltet werden. Die Wandlung, die dieses
Erlebnis der Aura im Einzelnen bewirkt, ist manchmal nur auf die Technik der Schau der
Aura bezogen, manchmal aber auch auf die ganze Haltung gegenüber den Erscheinungen der
Welt. Das ewige Wesen eines Gegenstandes wird, in übersinnlicher oder feinstofflicher
Schau, als Schutz und Ummantelung eines vergänglichen, körperlichen Kernes erlebt. Der
Körper steckt in der Seele. Dass sich die Seele offenbaren kann, verdankt sie dem
"rechten" Tun des Betrachters. Das Numinose wird damit zu einer das
"Rechtsein" des Menschen prüfenden Eigenschaft seines Tuns. "Rechtes"
Tun bestätigt sich in der Erscheinung der Aura. Diese Sichtweise tendiert dahin, das
Wesentliche körperlich zu behandeln.