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Handy hoch!
 

Dieser Text von Daniel Ambühl erschien als Kolumne während des Bildwegs in der "neuen braunschweiger"

Handy.jif (1744 Byte)

Es ist High Noon in Braunschweigs wildem Westen. Man ist seiner Arbeit entronnen, hat sich im Saloon zu Tisch gesetzt, atmet tief durch, betrachtet das schöne Steak auf dem Teller. Ein schweigender, dankbarer Blick geht zum Gegenüber und in die Runde. Man greift zu Gabel und Messer, schiebt sich bedächtig den ersten Bissen in den Mund. Doch bevor man zu kauen beginnen kann, bevor man merken kann, wie vorzüglich es schmeckt, piepst ein Handy. Mein Handy? Dein Handy? Wie ein Überfall ist dieser Pieps: Handy hoch! Alle Handyaner im Restaurant schrecken hoch, fingern nervös an Innen- und Aussentaschen ihres Jackets. Schnell und achtlos würgt jeder seinen Bissen runter, klaubt mit vollem Mund sein Handy hervor. Doch von dem dreckigen Dutzend, das seine Telekomrevolver zückt, ist nur einer der Glückliche, bei dem es wirklich piepst. Dieser eine muss nun einem Unbekannten mühsam erklären, dass er eigentlich falsch verbunden sei. Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Die Zeit, in der sie leben ist das Zeitalter der doofen Sprüche, der absurden Wahrheiten: Zum Beispiel: "Seit ich ein Handy habe, bin ich viel unabhängiger!" Bla bla bla .....
Jeder möchte gerne der John Wayne seiner Branche sein, derjenige nämlich, der am schnellsten zieht, aber keiner möchte zugeben dass das einzige, was im Zeitalter des Mobilfunks unabhängiger geworden ist, sein Telefon ist, weil es doch nun als Handy überall und jederzeit hineinpiepsen kann. Der Mensch hat sich mit seinem Willen, alles sofort im Griff zu haben, an die Unabhängigkeit seiner Technik versklavt. So schmecken Freiheit und Abenteuer in Braunschweigs wildem Westen.

Wie konnte es soweit kommen? Weshalb hat heute fast jeder einen Handyrevolver bei sich? Klar: Man will sofort reagieren können. Vorbei die Zeiten, als man das Kriegsbeil erst mühsam suchen und ausgraben musste. Man ist chronisch auf Kriegspfad und trägt die Kanone deshalb immer auf sich. Wo aber sind die Feinde, wo sind die Indianer? Gegen wen kämpft man eigentlich?

Unter dem einen doofen Spruch, den man notdürftig entlarvt hat, kommt nie die Wahrheit zum Vorschein, sondern immer nur der nächste doofe Spruch, dem man leichtgläubig und abergläubisch aufhockt. "Zeit ist Geld" zum Beispiel. Ein wirklich oberdoofer Satz, denn Zeit ist Zeit und Geld ist Geld. Ein Problem kriecht aus dieser diabolischen Gleichung hervor, wenn man ihr glaubt und sich die Grenze zwischen Zeit und Geld vernebeln lässt mit süssen, bunten Versprechungen von Erfolg und Reichtum, Freizeit, einer Traumvilla am Meer, dem Glück des arbeitslosen Milliardärs usw. Man sieht im Rausch dieser Fata Morganas dann überall, wo Zeit vergeht, nur pure Geldverschwendung. Und überall, wo Geld verdient wird, hat man das Gefühl, es werde da Zeit verdient, gespart und angehäuft und man erarbeite sich damit sein ewiges Leben! Andererseits gilt aber auch: Wo Gelegenheiten verpasst werden schnelle Kohle zu verdienen, da sieht man nichts als öde Zeitverschwendung. Krank ist dann die Sehnsucht des Menschen nach Dauer, und wie überall, wo etwas krank ist, sind Quacksalber da, als Naturärzte verkleidete Hyänen und Geier, die einem irgendeine Technik aufschwatzen, die alles nur noch schlimmer macht. Die Zeit ist grausam geworden. Edgar Allan Poe hat es beschrieben. Die Zeit ist wie ein Guillotinenpendel in der Standuhr, in der wir eingesperrt sind. Sie droht, uns wahnsinnig zu machen wie Wassertropfen, die auf unseren Schädel pochen. Es ist als sei die Zeit dem Menschen entglitten, als hätte sie sich verselbständigt und gegen den Menschen gerichtet; wie ein Rasenmäher, der dem Gärtner aus der Hand gegangen ist und ihn nun rasend und dröhnend mit seinen Schermessern verfolgt. Dies alles ist aber nicht das Problem der Zeit. Es ist das Problem des Menschen, der die Zeit zu seinem Hauptfeind erklärt hat und sie besiegen will. Mir hat einmal jemand gesagt, dass Handys Hirnschäden verursachen. Das hört man auch. Denn die Grundstimmung solcher Anrufe könnte man im Ausspruch zusammenfassen: "Seit ich keine Ferien mehr mache, kann ich mir auch ein Ferienhaus leisten!"

 

 
 


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