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Dieser Text von Daniel
Ambühl erschien als Kolumne während des Bildwegs in der "neuen
braunschweiger"

Es ist High Noon in Braunschweigs wildem Westen. Man ist
seiner Arbeit entronnen, hat sich im Saloon zu Tisch gesetzt, atmet tief durch, betrachtet
das schöne Steak auf dem Teller. Ein schweigender, dankbarer Blick geht zum Gegenüber
und in die Runde. Man greift zu Gabel und Messer, schiebt sich bedächtig den ersten
Bissen in den Mund. Doch bevor man zu kauen beginnen kann, bevor man merken kann, wie
vorzüglich es schmeckt, piepst ein Handy. Mein Handy? Dein Handy? Wie ein Überfall ist
dieser Pieps: Handy hoch! Alle Handyaner im Restaurant schrecken hoch, fingern nervös an
Innen- und Aussentaschen ihres Jackets. Schnell und achtlos würgt jeder seinen Bissen
runter, klaubt mit vollem Mund sein Handy hervor. Doch von dem dreckigen Dutzend, das
seine Telekomrevolver zückt, ist nur einer der Glückliche, bei dem es wirklich piepst.
Dieser eine muss nun einem Unbekannten mühsam erklären, dass er eigentlich falsch
verbunden sei. Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Die Zeit, in der sie leben ist das
Zeitalter der doofen Sprüche, der absurden Wahrheiten: Zum Beispiel: "Seit ich ein
Handy habe, bin ich viel unabhängiger!" Bla bla bla .....
Jeder möchte gerne der John Wayne seiner Branche sein, derjenige nämlich, der am
schnellsten zieht, aber keiner möchte zugeben dass das einzige, was im Zeitalter des
Mobilfunks unabhängiger geworden ist, sein Telefon ist, weil es doch nun als Handy
überall und jederzeit hineinpiepsen kann. Der Mensch hat sich mit seinem Willen, alles
sofort im Griff zu haben, an die Unabhängigkeit seiner Technik versklavt. So schmecken
Freiheit und Abenteuer in Braunschweigs wildem Westen.
Wie konnte es soweit kommen? Weshalb hat heute fast
jeder einen Handyrevolver bei sich? Klar: Man will sofort reagieren können. Vorbei die
Zeiten, als man das Kriegsbeil erst mühsam suchen und ausgraben musste. Man ist chronisch
auf Kriegspfad und trägt die Kanone deshalb immer auf sich. Wo aber sind die Feinde, wo
sind die Indianer? Gegen wen kämpft man eigentlich?
Unter dem einen doofen Spruch, den man notdürftig entlarvt hat, kommt nie die Wahrheit
zum Vorschein, sondern immer nur der nächste doofe Spruch, dem man leichtgläubig und
abergläubisch aufhockt. "Zeit ist Geld" zum Beispiel. Ein wirklich oberdoofer
Satz, denn Zeit ist Zeit und Geld ist Geld. Ein Problem kriecht aus dieser diabolischen
Gleichung hervor, wenn man ihr glaubt und sich die Grenze zwischen Zeit und Geld vernebeln
lässt mit süssen, bunten Versprechungen von Erfolg und Reichtum, Freizeit, einer
Traumvilla am Meer, dem Glück des arbeitslosen Milliardärs usw. Man sieht im Rausch
dieser Fata Morganas dann überall, wo Zeit vergeht, nur pure Geldverschwendung. Und
überall, wo Geld verdient wird, hat man das Gefühl, es werde da Zeit verdient, gespart
und angehäuft und man erarbeite sich damit sein ewiges Leben! Andererseits gilt aber
auch: Wo Gelegenheiten verpasst werden schnelle Kohle zu verdienen, da sieht man nichts
als öde Zeitverschwendung. Krank ist dann die Sehnsucht des Menschen nach Dauer, und wie
überall, wo etwas krank ist, sind Quacksalber da, als Naturärzte verkleidete Hyänen und
Geier, die einem irgendeine Technik aufschwatzen, die alles nur noch schlimmer macht. Die
Zeit ist grausam geworden. Edgar Allan Poe hat es beschrieben. Die Zeit ist wie ein
Guillotinenpendel in der Standuhr, in der wir eingesperrt sind. Sie droht, uns wahnsinnig
zu machen wie Wassertropfen, die auf unseren Schädel pochen. Es ist als sei die Zeit dem
Menschen entglitten, als hätte sie sich verselbständigt und gegen den Menschen
gerichtet; wie ein Rasenmäher, der dem Gärtner aus der Hand gegangen ist und ihn nun
rasend und dröhnend mit seinen Schermessern verfolgt. Dies alles ist aber nicht das
Problem der Zeit. Es ist das Problem des Menschen, der die Zeit zu seinem Hauptfeind
erklärt hat und sie besiegen will. Mir hat einmal jemand gesagt, dass Handys Hirnschäden
verursachen. Das hört man auch. Denn die Grundstimmung solcher Anrufe könnte man im
Ausspruch zusammenfassen: "Seit ich keine Ferien mehr mache, kann ich mir auch ein
Ferienhaus leisten!"
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