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Mein Liebesleben
 

Dieser Text von Daniel Ambühl erschien als Kolumne während des Bildwegs in der "neuen braunschweiger"

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Eigentlich könnte ich mich wegschleichen mit der Bemerkung, ich hätte zum Thema des Liebeslebens nichts zu sagen, weil ich kein Liebesleben hatte. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade weil ich kein Liebesleben hatte, bin ich in herausragender Weise qualifiziert, über die Liebe zu sprechen, nämlich: Aus ziemlicher Distanz - wie ein Fussball-Schiedsrichter, der immer Schwarz trägt und pfeiffen darf, weil er nicht mitspielt. Oder wie der Papst, der über Familienplanung spricht. Oder Ex-Bundeskanzler Kohl: Er konnte so majestätisch über Politik und die Geschicke des Landes reden und urteilen, weil er damit eigentlich nichts zu tun hatte. Es sind Glücksfälle, wenn man jemanden findet, der konzentriert und scharf beobachtend auf dem Spielfeld steht; der aber auch akzeptieren kann, dass er nicht selber mitspielen darf.

Um noch ein praktisches Beispiel zu geben: Wenn wir eine Schreinerarbeit machen lassen wollen, sind wir vom Friseur meist besser beraten als vom Schreiner, und Umgekehrtes gilt für den Haarschnitt. Experten sind meist befangen von ihrem Gebiet, respektive instinktiv eingenommen von ihrer Arbeit. Wenn man einen Teppich kaufen will, wird man klugerweise nicht den Teppichhändler nach dem Preis fragen, sondern den mit ihm verfeindeten Obsthändler.

Vom Liebesleben des Menschen liesse sich sagen: Es stehe und Falle mit der grossen Bildungsfrage, ob jemand unterscheiden kann zwischen Keuschheit und Impotenz. Tiere zum Beispiel können das nicht. Tiere können deshalb auch nicht treu sein. Sie sind treu auch nur aus Instinkt. Treue aber als Akt und Entscheid der Freiheit ist eine wesentliche Bildungsfrage des Menschen, hingegen keine Frage der Ausbildung. Wo die Unterscheidung, zwischen Keuschheit und Impotenz und zwischen Enthaltsamkeit und Unfähigkeit dem Menschen bewusst ist, nur da ist der Mensch gebildet, unabhängig davon ob er in der Sonderschule war oder in Harvard.

Es gibt Bereiche, in denen diese wesentlich menschliche Unterscheidungsfähigkeit störend, ja hinderlich und gar bedrohlich ist. Dies gilt vor allem für die Branche der Händler. Für sie ist Enthaltsamkeit Synonym für Unfähigkeit, und weil im Markt der Instinkt alleine regieren darf, hat deshalb auch die Moral dort nichts zu suchen. Der Schiedsrichter aber muss seine Tauglichkeit anders erweisen. Es müssen bei ihm ein paar zusätzliche Sicherungen gegen die Reflexe des Spieltriebs eingebaut sein. Wenn ihm ein Ball vor die Füsse rollt, soll er nicht instinktiv eine draufhauen und selber ein Tor schiesst. Dasselbe erwartete man bis vor kurzem auch vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, im Falle, dass er einer jungen Frau begegnet. Clintons Problem war nicht, dass er sich von einer Azubi sein Kleinhirn bedienen liess. Sein Problem ist von ganz anderem Kaliber: Dass sich das sogenannte "role model" der zivilisierten Welt den niedersten Gelüsten seiner voyeuristischen Bürger hingibt, und vor allen die Hosen runterlässt, ist das nackte Zeichen fehlender Enthaltsamkeit. Clinton vollzog damit die Vermischung von Privatheit und öffentlichem Amt und markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Demontage von Autorität, Respekt und Amtswürde, wie sie im Amerikanismus Stil geworden ist. Und vergessen sie nicht: Auch Deutschland ist Amerika. Nicht immer, aber immer öfter. Man muss heute geschieden sein, um in Deutschland Kanzler zu werden, ganz einfach deshalb, weil der Kanzler die Mehrheiten vertreten soll. Damit hat sich nun unzweifelhaft gezeigt: Die Exponenten der Regierung sind nicht mehr Vorbilder für das Volk. Das Volk will nun Vorbild sein für seine Regierung, und damit Vorbild sein für sich selber. Dies nannte man früher Narzissmus.

Wenn ich, Till Eulenspiegel, solches sage, hat man es leicht, mich und das Gesagte lächerlich zu machen. Man denkt: "Was will der uns erzählen? Der hat doch keine Ahnung wovon er spricht!" Ich habe mir erlaubt, prinzipiell von Liebe zu reden, weil sie für mich höchste Ansprüche stellt. Es scheint alles in dieser Welt auf sie ausgerichtet, aber sie ist nicht von dieser Welt. Man kann deshalb in dieser Welt einzig an der Liebe verzweifeln, weil sie nie wirklich beweisbar, nie erreicht, nie zu halten, nicht auszuhalten und deshalb immer zweifelhaft ist. Wohl deshalb blieb ich persönlich zeitlebens alleine, unverheiratet, kinderlos, eine verdorbene Jungfrau. Wenn sie wollen: Ein Feigling vor der Liebe, aber in Amt und Würde ein Narr.

 

 
 


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