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Die Romantik bezieht
sich oft auf scheinbar Vergangenes. Dies ist wohl in den stereotypen Anfängen der
Märchen am deutlichsten, welche die Gebrüder Grimm in der Zeit der Romantik um 1812
veröffentlichten: Es war einmal ...." Dies meint nun nicht: " Es war früher in
der Zeit" oder "Es ist längst vorbei", im Gegenteil: Es heisst eigentlich
" Es ist jetzt da, aber nicht im Erscheinenden, nicht materiell, und nicht
raum-zeitlich fassbar. Man kann es nicht wissenschaftlich untersuchen. Es ist da im
Verborgenen des Menschen; "Es war einmal.." heisst: Es scheint
materiell-subjektiv kausal nichtig und abwesend, ist aber geistig-objektiv bestimmend und
anwesend. Diese Unterscheidung ist für die Romantik wesentlich. Und auch Ursache der
vielen Missverständnisse, die daraus entstehen könnten, die Chiffern der Romantik als
Bezogenheit zu einer abstrakten Idee von etwas Zeitlich-Vergangenen,
historisch-Überholten auszudeuten. Die Romantik ist so gegenwartsbezogen, wie kaum eine
andere Kunstströmung. Und sie ist auch in den Grundzügen ihrer noch ernsthaft und
wahrhaftig empfundenen Anfänge keineswegs subjektiv-gefühlsduselig, wie man ihr oft
unterstellt, wenn man bloss den Kitsch betrachtet, der in der Dynamik der Romantik als
Modeerscheinung sehr rasch ins Biedermeirische kippte. Das Gefühl bezeichnete für den
Romantiker die höchstmögliche geistige Erkenntnis. Den Punkt nämlich, an welchem sich
die Bewusstheit ihrer Begrenztheit bewusst wird und die Bewusstheit sich als ein
Empfangsgerät für Gedanken empfindet und nicht als Produktionsstätte, wo Gedanken
hergestellt und ausgesendet werden. Vielleicht ist der Begriff des Gefühls in der
Romantik am ehesten mit dem uns heute geläufigen Begriff der "Intuition" oder
der "Inspiration" vergleichbar. Dass die Möglichkeiten des Bewusstseins
begrenzt sind, war in der Anfangszeit der Romantik eine beinahe ketzerische Behauptung.
Gegen die Anmassung des Glaubens an das Wissen setzte sich die Romantik zur Wehr. Vor
allem aber gegen den Glauben an die Macht, die das Wissen bedeutet, um einen besseren
Menschen und eine bessere Gesellschaft zu schaffen, sich von Fesseln der subjektiven
Kleingläubigkeit an Traditionen und Rituale zu befreien und nun erstmals auf scheinbar
objektiven, wissenschaftlichen Grundlagen den Pfusch der Schöpfung, unter welchem die
Menschen bisher zu leiden hatten, endgültig auszubessern. Die Romantik zweifelte
keineswegs an der Kraft des menschlichen Geistes. Im Gegenteil. Sie wollte den Geist über
den Pubertätszustand der trotzigen Einbildung hinausführen. Sie fand, dass der Geist
noch zu wenig ausgebildet, noch zu naiv sei, wenn er seine Begrenztheit nicht einsah und
noch nicht durch die Ahnung des Unterganges seiner Vollmacht zur wirklichen Reife und
Grösse gelangt sei. Etwas Höheres als den Geist anzunehmen, bedeutet für den Geist
tatsächlich ein Eingeständnis seiner Schwäche. Denn bei der Frage, was ihn, den Geist,
begrenze, respektive in welch grösserem Unbegrenzten Geist einen endlichen Raum einnehme,
konnte nicht wissenschaftlich erörtert werden. Diese Frage war in den Raum von
unbeweisbaren Annahmen und von Geschichten gestellt und hatte den Raum wissenschaftlicher
kausaler Beweisführung und Hypothesen hinter sich gelassen. Auch dieser Abschied vom
wissenschaftlich Fassbaren wird bezeichnet mit der Eingangsformel: "Es war
einmal..." Im Laufe der historischen Geschichte ist
erkennbar, dass in der Philosophie das Nachdenken über den absoluten Geist, (der den
relativen Geist des Menschen umfasst) noch zur Romantik gehört, darauf aber sogleich die
Frage nach der Vernunft in den Mittelpunkt rückt, also die Frage nach der Ratio, die
hinter einer solchen Annahme steckt, es gäbe einen Weltgeist, oder Gott, an dessen
absolutem oder heiligem Geist der Mensch Anteil habe. Und daran anschliessend sogleich die
Erörterung der Wirkungen einer Annahme von Rationalität: Die Welt als Wille und
Vorstellung.
Tatsächlich wird heute die Annahme Gottes, eines Weltgeistes, oder
eines absoluten heiligen Geistes als etwas zu tiefst Irrationales und Unvernüftiges
bezeichnet. Und auch die Romantik, die diese Annahme bebildert, vertont und umschrieben
hat gilt als Irrational. Für den Romantiker aber gilt die Behauptung einer Rationalität
des Menschen als Irrational und unvernünftig. Dass der menschliche Geist nicht perfekt
und nicht allmächtig ist, ist offensichtlich. Dass der Mensch sich eigentlich nur im
Zustand der Betäubung, der Trunkenheit und Begeisterung als im Einklang mit dem absoluten
Geist befindlich wähnt, ist für den, der je wieder zum Zustand der Nüchternheit
zurückfindet, eine schmerzhafte Einsicht. Ich vermute, dass die Nüchternheit den meisten
Menschen wie eine Wüste vorkommt, in der man nicht Leben kann.
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