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Rede von Dr. Fritz Jacobi zur Eröffnung der Kunstaktion "KUNSTMITTE" des Kulturamtes des Bezirkes Mitte von Berlin am 17. Mai 1996

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Eine solche Aktion, wie sie heute in verdienstvoller Weise vom Kulturamt des Bezirkes Mitte von Berlin unter dem Titel "KUNSTMITTE" mit viel Engagement initiiert wurde, hat natür lich etwas mit Berlin zu tun, mit dem eigenwilligen, spröden und offenen Charakter dieser Stadt, der seit langem das Besondere dieser märkisch-hauptstädtischen Ansiedlung bildet.

1930 notierte der Bildhauer Gustav Heinrich Wolff (1886 - 1934) in sein Tagebuch: " Berlin Stadt meines Schicksals, gelegen mitten zwischen den Stellen, wo ich leben möchte und zu leben versucht habe. Vertrieben von überall, bin ich in Berlin. Wie ein erzwungenes Glaubensbekenntnis spreche ich's aus: es ist meine Stadt." Die Worte des Steinbildhauers, der seit 1919 in Berlin lebte, hier mit Gottfried Benn befreundet war, enthalten so etwas wie Dankbarkeit dafür, daß diese Stadt ihm gewissermaßen Existenz ermöglicht hat. Gustav Heinrich Wolff, dessen Werke sich u. a. in den Museen von Halle und Berlin befinden, gehörte auch zu den Anregern des Bildhauers Werner Stützer, dessen große fünfteilige Marmorreliefwand auf dem unweit gelegenen Marx-Engels-Forum zu sehen ist.

Berlin, das der Maler Werner Heldt - in der nahen Parochialstraße aufgewachsen und in den 30er Jahren Mitglied der Ateliergemeinschaft Klosterstraße - einmal als "Stadt am Meer" bezeichnet hat, ist zu Recht immer wieder als ein Anziehungspunkt und Sammelbecken für Künstler, Schriftsteller, Musiker und Tänzer aus den verschiedensten Landstrichen Deutschlands und darüber hinaus bezeichnet worden. Diese Charakterisierung trifft das besondere Klima dieses "Schmelztiegels", dessen Wesen und Struktur das einer Metropole war und ist.

Das galt vor allem für die ersten drei Jahrzehnte unseres Jahrhunderts, als Berlin durch Künst ler und Schriftsteller aus ganz Europa zu einem Zentrum europäischer Kultur wurde und weltweit nachhaltige Impulse ausgestrahlt hat. Und selbst in den Jahrzehnten der Teilung Deutsch lands, in den Jahren der Mauer, die wie eine offene Wunde, hermetisch abgeriegelt, diese Stadt durchzog, behielten die beiden Hälften in durchaus unterschiedlicher Form - gerade in künst lerischer und intellektueller Hinsicht - eine ganz eigene Anziehungskraft gegenüber dem jeweiligen Staat, für den sie als vorgeschobene Bastion oder Schaufenster fungieren sollten.

Seit den Novembertagen 1989 hat diese Stadt nun in elementarer, entgrenzter Stimmung ihren lebendigen Magnetismus neu entfaltet und setzt mit wiedererstarkten Kräften an, kreatives Potential aus deutschen, benachbarten und überseeischen Landen um sich zu scharen und aufzunehmen. In einer ganz eigenen Mischung von Utopie und Aufbruch, von Nostalgie und Geschäftsgeist, von Selbstverwirklichung und gesellschaftlichem Engagement haben sich Künstler, Galeristen und Kaffeehausleute zusammengefunden, um in manigfaltiger Form vor handener und nachwachsender Kunst ein geeignetes Podium zu bieten. Manche kommen nur mit der Absicht des vorübergehenden Bleibens, andere mit dem festen Vorsatz für einen ständigen Aufenthalt. Das hat in ganz Berlin, besonders aber im Bezirk Mitte, zu einer reizvollen, sehr unterschiedlich ausgerichteten und durchaus auch von Spannungen getragenen Szenerie geführt, die sich noch ständig wandelt, in Bewegung ist und ihr bleibendes Profil noch sucht. Dieser Bezirk, der früher zum Ostteil Berlins gehörte und nun wieder im wirklichen Herzen dieser Stadt gelegen ist, wird durch die großen Kulturbauten, die Museumsinsel, das Lindenforum mit der Staatsoper, Hedwigskathedrale, Humboldt-Universität, Staatsbibliothek und Brandenburger Tor, durch den Platz der Akademie, Nikolaiviertel oder Jüdische Synagoge geprägt, aber er umfaßt ebenso die Spandauer Vorstadt, das Scheunenviertel oder die ehemaligen Arbeiterbezirke um den Alexanderplatz. Gerade die letztgenannten Bereiche wurden zum besonderen Refugium der Galeristen und Künstler. Altbausubstanz, ungeklärte Miet- und Eigentumsverhältnisse und historische Bezüge trugen dazu bei, daß hier ein neues Terrain für schöpferisches Tun entstand.

Die Worte des jungen Malers Peter Moors, die seinen Eindruck vom Kunsthaus Tacheles einfangen, in dem er einige Zeit sein Atelier hatte, scheinen mir geeignet, sinnbildhaft auch übergreifend etwas von der augenblicklich herrschenden Atmosphäre deutlich werden zu lassen: "Ruine, ein Drittel und mehr, ein durch verhinderte Sprengung bewahrter Rest. Ein Rest - größter Stahlbetonbau seiner Zeit - ein Rest Architektur. Eine Ahnung vom ehemals Ganzen. Spuren. Ein Ort. Türen, Treppen, Fenster, Gänge, Räume und wieder Treppen, Türen. Ein Dach. Eine Baustelle. Raumgerüst für Theater, Kino, Café, Kunst, Lebenskunst, Bilder, Gemalte, zu malende, nicht malbare, Bilder in den Köpfen von Figuren, wollenden, verlangenden, sich selbst beweisenden, fliehenden, gestrandeten, suchenden Menschen. Gesichter, lebendige Bilder, die das Haus prägen, in die es sich einprägt, das Haus. Baustelle mit- und gegeneinander, Verständigung und Fremde, Reibung zwischen Entwürfen und Machbarkeit."
Wenn man bedenkt, daß über die 45 an der Aktion "KUNSTMITTE" beteiligten Einrichtungen hinaus etwa noch einmal so viele Galerien und Ausstellungsorte hinzuzuzählen sind, die im Bezirk Mitte ihren Standort gefunden haben, so ist das schon eine erstaunliche Zahl, die für die Attraktivität dieses Stadtteils spricht und die zur Zeit wohl auch kaum irgendwo in Deutschland übertroffen wird. Allein daran wird sichtbar, welche beeindruckende Dichte an gestalterischen Kräften hier innerhalb weniger Jahre gewachsen ist. Aber es ist nicht allein die Quantität, die diesen Schauplatz auszeichnet; auch die Qualität der hier entstehenden und ausgestellten Arbeiten hält einem prüfenden Maßstab weitgehend stand, auch wenn es unter diesem Aspekt selbstredend eine sehr weitgefächerte Skala im Niveau zu konstatieren gibt. Doch es ist häufig die Fülle der künstlerischen Äußerungen, die den Boden für das Herausragende bereitet, und es ist die Vielfältigkeit des Angebotes, die ein breites Publikum interessiert.

Versucht man einmal, das Spektrum der an der heutigen Aktion beteiligten "Kunstanstalten" und darüber hinaus etwas zu sondieren, so lassen sich in einer wirklich nur umrißartigen Annäherung eine Reihe von Gruppierungen unterscheiden. Alle verbindet der enorme Einsatz und die hohe Risikobereitschaft ihrer Initiatoren. Da sind zum einen die Galerien zu nennen, die schon im ehemaligen Ostberlin existierten und in verdienstvoller Weise für eine offene und liberale Kunsthaltung eingetreten sind. Dazu gehören die drei kommunalen Galerien mit der "Galerie Mitte", der "Galerie Weißer Elefant" und der "Galerie Am Scheunenviertel", die seinerzeit in unterschiedlicher Prägung qualitativ hochrangige ostdeutsche Kunst gezeigt haben. Desweiteren sind Galerien des ehemaligen Staatlichen Kunsthandels zu nennen wie die "Sophien-Edition", die "Galerie Inga Kondeyne" - früher als "Galerie Rotunde" bekannt - oder die "Insel-Galerie", deren Leiterinnen nach der Wende das Heft selbst in die Hand genommen haben. Besonders bemerkenswert in dieser Gruppe ehemaliger ostdeutscher Galerien sind einige junge Galeristen, die schon unter den schwierigen Bedingungen der Ostzeit privat begonnen haben wie Friedrich Loock mit der "Wohnmaschine" oder Judy Lybke mit "EIGEN + ART" in Leipzig, der sich nach der Wende als einer der ersten auch eine Ausstellungsstätte in Berlin-Mitte einrichtete.

In der Reihe der privaten Initiativen, die dann seit 1990 von vielen ostdeutschen Galeristen und Künstlern unternommen wurden, seien nur Johannes Zielke, das "Dogenhaus", die "Galerie Leo. Coppi", der "Förderverein Klosterruine" oder der "Milchhof" stellvertretend für die Vielzahl von Aktivitäten genannt. Auch das "Kunsthaus Tacheles" geht zunächst auf eine Aktion ostdeutscher Künstler zurück, bevor eine Verschmelzung mit Westberliner und ausländischen Künstlern entstand und dort eine basisdemokratische Kunstgemeinschaft verwirklicht wurde. Ebenso ist eine ganze Reihe von Cafés und Gaststätten, die - mit einem Ausstellungsprogramm verbunden - nach der Wende buchstäblich aus den Kellern schossen wie das "Café Silberstein", die "Galerie ICI Café", "Café Clara 90 mit Galerie" oder "Aufsturz" das Ergebnis ostdeutscher Handlungsbereitschaft.

Und in ähnlicher Form zog es nach und nach auch westliche Galerien und Vereine gerade nach Berlins Mitte wie beispielsweise die "Kunst-Werke Berlin" oder den "Neuen Berliner Kunstverein", Künstlerinitiativen wie "art acker", "acud", "Apparat", die "rupert goldsworthy gallery" oder die "Ständige Vertretung der Neuen Anständigkeit", aber auch kommerzielle Galerien wie Arndt & Partner, Gebauer und Günther, Walter Bischoff und die Galerie Waskowiak, um auch hier nur wenige stellvertretend für eine große Zahl anzuführen. Vom Künstleratelier, das zugleich als Ausstellungsraum dient, bis hin zur Präsentation gestandener Galerien in geräumigen Altberliner Wohnungen mit Klingelknopf, von der provisorisch eingerichteten Schau in Hinterhöfen bis zur gläsernen Transparenz neuerbauter Kunstsäle reichen die "Gefäße", in denen Kunst aus Berlin, deutscher und internationaler Herkunft - durchweg mit viel Sorgfalt und Hinwendung - dem einheimischen und touristischen Publikum vorgestellt wird. Die Bandbreite der künstlerischen Ausdrucksformen erstreckt sich von traditioneller Tafelmalerei und Photographie, die mehr und mehr einen großen Bereich ausfüllt, über Konzept-Art und Medienkunst bis hin zu Objektgestaltung und Installation.

Unterschiedlichste Handschriften sind hier - bereits ausgereift oder noch im Werden begriffen - vereint. Angesichts der Fülle neuartiger und experimenteller Kunst läßt sich nur unterstreichen, was Max Liebermann als Präsident der Preußischen Akademie der Künste 1922 seinen Akademiekollegen gegenüber nachdrücklich in den Raum stellte: " Kindisch, der Kunst zuzurufen: Bis hierher und nicht weiter, denn die Kunst hat ihre Grenzen nur in der Ausdrucksfähigkeit ihrer Mittel. Wie anders aber kann sich die Erweiterung der künstlerischen Ausdrucksmittel zeigen als in der Objektivierung der künstlerischen Individualitäten! Jedes Werk, in dem wir eine neue Individualität zu erkennen glauben, muß ausgestellt werden, denn nur die Ausstellung ermöglicht durch Vergleichung ein einigermaßen richtiges Urteil für die Gegenwart da, wo definitiv allein die Zeit entscheiden kann, ob das auch neue Kunst ist oder nicht. Der Beweis wird erst dadurch erbracht, daß das Neue vorbildlich wird oder, wie Kant sagt, daß die Kunst der Natur die Regel gibt."

Lassen Sie mich schließen mit einem weiteren Wort zu Künstler und Kunst selbst, die auch heute, bei dieser schönen, Gemeinsamkeit stiftenden Aktion "KUNSTMITTE" trotz aller finanziellen Problematik den eigentlichen "Mitte-Punkt" bildet. Herwarth Walden, der große verdienstvolle Berliner Kunstinitiator und Schriftsteller, mit seinem Verlag und seiner Galerie "Der Sturm" seit 1910 weltweit berühmt geworden, sagte 1924: "Künstler sein heißt eine eigene Anschauung gestalten zu können. Die Einheit von Anschauung und Gestaltung ist das Wesen der Kunst, ist die Kunst. (...) Kunst ist Geburt und nicht Wiedergeburt, auch wenn man sie Renaissance nennt. Wenn man eine edle Frucht genießen will, muß man die Schale opfern. Auch die schönste Schale hilft nicht über die Schalheit des Innern. Der Künstler malt, was er schaut mit seinen intensiven Sinnen, den Ausdruck, die Expression seines Wesens. Der Künstler ist sich bewußt, nur ein Wesen der Wesenheit zu sein. Er ist vergänglich und deshalb sich selber wie alles Vergängliche ihm nur ein Gleichnis. Er spielt im Leben, er spielt mit dem Le ben, er spielt Leben. Der Eindruck von außen wird ihm der Ausdruck von innen. Er ist Träger und Getragener seiner Visionen, seiner inneren Gesichte. (...) Der wirkliche Künstler muß der Bildner seiner Bildungen sein. Und die Gebildeten insgesamt sollten sich endlich entschließen, aus der Passivität der B i l d u n g zur Aktivität des B i l d e s aufzuschauen."

Schönen Dank!






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